Neues Zuhause

Zeit ist irgendwie ein sehr merkwürdiges Konstrukt. Für mich ist es jetzt einfach schon zwei Monate her, dass ich am Flughafen in Hamburg aufgebrochen bin. Die Zeit vergeht gefühlt total schnell, kaum hat die Woche angefangen ist sie auch schon wieder zu Ende und doch sind es vom Gefühl her viel mehr als diese zwei Monate die ich jetzt schon hier bin. Es ist einfach sehr viel passiert und ganz viele neue Eindrücke sind im Laufe dieser Zeit dazu gekommen.

Ankunft

Aber fangen wir vielleicht mal vorne an. Wir sind am 9. August um 6:00 Uhr Morgens von Hamburg aus losgeflogen. Unser Ziel war Curitiba welches wir etwa 24 Stunden später erreicht haben. Eigentlich sollte unser Vorbereitungsseminar in Porto Alegre sein, aber aufgrund der Überschwemmungen im April ist der Flughafen noch immer gesperrt. Am Flughafen wurden wir dann von unserer Mentorin abgeholt. Sie kann Deutsch sprechen, was den Einstieg auf jeden Fall sehr erleichtert hat. Insgesamt waren wir zu elft auf dem Seminar. Alle kommen aus Deutschland, aus 4 verschiedenen Organisationen. Wir hatten eigentlich die Beste Ankunftszeit meiner Meinung nach. Um 1Uhr Nachts waren wir in unseren Zimmern, entschieden uns das Frühstück ausfallen zu lassen und bekamen so 10 Stunden Schlaf. Als wir zum Mittagessen aufstanden, kamen gerade Gruppe drei und vier an. Die andere ist schon am Vortag angekommen. Dementsprechend wurde für die zwei Gruppen, die erst gerade angekommen waren, der Tag ziemlich lang und wir beendeten die Einheit am Abend früher, damit die ins Bett können, aber ich hatte das Gefühl, dass auch alle anderen froh darüber waren früh ins Bett zu kommen. Die Reise war einfach sehr kräftezehrend, denn auch an den folgenden Tagen gingen wir alle früh schlafen. Erst am Ende unser Vorbereitungswoche waren wir dann noch länger im Aufenthaltsraum.

Unsere Einsatzstelle liegt mit dem Bus etwa zwölf Stunden von dem Vorbereitungsseminar entfernt. Im Vorhinein waren wir nicht so begeistert über eine zwölf Stunden Busfahrt, aber der Bus hat uns positiv überrascht, mit dem Luxus, den er zu bieten hatte. Es gab sehr viel Platz und die Sitze, die mehr Sesseln ähnelten konnte man so weit zurückstellen, dass man praktisch lag. Da wir über Nacht gefahren sind gingen die zwölf Stunden also schnell vorbei. Uns wurde auch schon im Vorhinein gesagt, dass wir Zeit hier ganz anders wahrnehmen werden, weil die Entfernungen in Brasilien einfach andere Ausmaße haben. Das merke ich bereits jetzt sehr stark. In Deutschland waren für mich drei Stunden Fahrt schon echt eine lange Strecke, hier freue ich mich wenn unser Ziel so nah ist.

Hier in unserem Ort angekommen, waren die ersten Tage für mich ein bisschen überfordernd. Plötzlich ist man an dem Ort, wo man für ein ganzen Jahr leben wird. Wenn ich so darüber nachdenke, ist ein Jahr eine echt lange Zeit. Davor war es auch immer so, dass wir nochmal weitergezogen sind, aber plötzlich waren wir angekommen. Merkwürdiges Gefühl. Wir waren dann auch direkt am ersten Tag im Projekt. Es war gerade Zeit fürs Mittagessen und wir wollten uns ein Bild davon machen wie es im Projekt so aussieht. Unser Projekt ist ein Heim für Kinder und Jugendliche und auch relativ groß. Es leben um die 85 Kinder dort und rund 50 Erwachsene arbeiten in dem Projekt, als Erzieher, im Sekretariat oder in anderen Bereichen. Irgendwo war mir davor natürlich schon klar, dass das Projekt nicht auf uns angewiesen ist und trotzdem war es ein kleiner Dämpfer durch dieses Projekt zu laufen und nach meinem Gefühl kaum Beachtung zu bekommen, weil es in dem Heim einfach auch nichts Neues ist, dass ständig Mitarbeiter kommen und gehen.

Sprache

Mit dem Portugiesisch wird es immer besser, aber am Anfang war es schon schwer, weil ich mich vom Gefühl her erst mal einhören musste. Auch wenn ich die Sätze kannte, habe ich sie nicht verstanden und mich dann im Nachhinein gefragt, warum eigentlich nicht. Obwohl wir es immer wieder gesagt bekommen haben, dass wir soviel wie möglich im Vorhinein lernen sollen und ich meiner Meinung nach auch schon einiges gelernt habe, kann man wirklich nicht genug lernen. Es wird nämlich irgendwann echt unangenehm, wenn man zum dritten mal erklären muss, dass man es nicht verstanden hat. Sowieso gibt es hier von den Menschen unterschiedliche Herangehensweisen wie sie damit umgehen, dass ich sie nicht verstanden habe. Manche versuchen langsam zu sprechen, manche versuchen es so oft zu wiederholen bis du es zumindest halbwegs verstehst. Andere nutzen andere Wörter, das bringt meistens wirklich viel. Am meisten bringen aber oft irgendwelche Zeichen, die das Wort umschreiben.

Bei den kleinen Kindern ist das mit der Sprache dann nochmal anders. Viele verstehen glaube ich nicht, dass Portugiesisch nicht unsere Muttersprache ist und sprechen dazu noch leise oder nuscheln. Häufig verstehe ich dann auch nicht ob es eine Frage ist oder das Kind mir einfach nur etwas mitteilen möchte. Das Gute ist aber, dass es oft einfach reicht zu nicken oder ein zustimmendes Geräusch zu machen. Entweder wollten sie mir wirklich nur etwas mitteilen und sind mit meiner Antwort zufrieden oder aber sie haben die Frage schon wieder vergessen und rennen wieder weg um zu spielen. Nur wenn sie dich komisch anschauen weißt du, dass deine Antwort vielleicht nicht so viel Sinn gemacht hat.

Einer der Jungs, wahrscheinlich hat er gerade so das Teenager Alter erreicht, redet mit mir immer sehr schnell und sehr viel. Oft ist es deshalb auch so, dass ich ihn nicht verstehe, aber das ist auch voll okay weil er weiß auch, dass ich ihn nicht verstehe. Aber ich werde bei ihm nicht geschont. Ich habe das Gefühl, bei manchen Erwachsen ist es so, dass wenn sie merken, dass ich sie nicht verstehe, sie sich nicht mehr trauen, weiter mit mir zu reden.

Der Ort

Irgendwo hat jeder Ort Vor- und Nachteile. Padilha ist ein kleines Dorf in der Nähe von Taquara, mit ungefähr 800 Einwohnern. Manchmal ist es schon sehr anspruchsvoll hier zu leben, weil es schwierig ist aus dem Dorf in die nächste Stadt zu kommen. Ein Bus fährt zwei mal am Tag raus, aber auch nur unter der Woche. Am Samstag fährt er nur einmal und am Sonntag gar nicht. Bewohner die hier ein Auto haben und einen mitnehmen können sind auch eher die Seltenheit, man muss also gut planen wenn man etwas vor hat. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass dadurch das hier so wenige Menschen leben, man schneller in der Gesellschaft integriert ist. Schon in der ersten oder zweiten Woche hier wurden wir von ein paar Mitarbeitern zu einem Picknick eingeladen. Am nächsten Wochenende waren wir dann direkt bei einem anderen Kollegen zum Churrasco (im Prinzip Grillen, aber mit Spießen) eingeladen. Allgemein habe ich das Gefühl das hier alles viel entspannter gehandhabt wird, zumindest was das Treffen unter Freunden betrifft, die Arbeit ist davon ausgeschlossen. Uhrzeiten sind bei Treffen auch meist nur eine Orientierung, wenn es sie überhaupt gibt und daqui a pouco (übersetzt so etwas wie „bald“) ist ein gern verwendeter Satz. Tatsächlich habe ich mich an diese Spontanität mittlerweile gewöhnt und finde es meistens auch einfach viel entspannter, außer manchmal wenn man gerne etwas planen möchte und mal nicht spontan sein kann. Ich finde man merkt, dass das Dorf hier richtig zusammen hält. Uns wurde von der Whatsappgruppe berichtet in der viele der Bewohner sind und in der sie sich gegenseitig auf dem Laufenden halten oder informieren, wenn neue Gesichter im Dorf auftauchen.

Aber was mir hier ein bisschen fehlt sind die Freizeitaktivitäten, also so Sportvereine zum Beispiel, die gibt es hier nämlich nicht so wie in einer größeren Stadt. Deswegen haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, vor allem am Wochenende die Gegend zu erkunden. Zusammen mit einer Mitarbeiterin, die auch noch nicht so lange hier wohnt, haben wir ein paar sehr schöne Orte gefunden.

Essen

Churrasco

Am Anfang habe ich mir ein bisschen Gedanken über das Essen gemacht, weil ich mich vegetarisch ernähre und ein bisschen Angst hatte, dass ich hier oft keine Alternativen zu Fleisch finde. Aber das ist soweit ich mich erinnern kann noch nicht vorgekommen. Denn obwohl hier schon viel Fleisch gegessen wird und es auch wie teilweise in Deutschland zu besonderen Anlässen besonderes Fleisch gibt, gibt es auch immer vegetarische Komponenten. Reis und Bohnen gibt es hier eigentlich immer am Buffet im Heim. Dann immer noch Salat und von Tag zu Tag wechselnde andere Beilagen und Fleisch. Also ein Teil ist Abwechslung und der andere Teil gleich, so verläuft hier eigentlich generell auch unsere Zeit. Also ein bisschen das Selbe und ein bisschen was Neues, das ist ganz schön.

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