Gedanken zur Zeit im Juni: „Und wer einen sportlichen Wettkampf bestreitet, erhält den Siegeskranz nur, wenn er nach den Regeln kämpft.“ (2 Tim 2,5)

„Major Tom“ ist die neue Torhymne der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Männer. Bei jedem Treffer unseres Teams singen im Stadion die Fans den Songtext: „Völlig losgelöst von der Erde…“

Das Lied ist inzwischen vierzig Jahre alt. Trotzdem begeistert es immer noch die kleinen und großen Fußballbegeisterten. Bei einer Fanumfrage hat es sich gegen viele andere Vorschläge durchgesetzt. Offenbar trifft es ein Bedürfnis, das tief im Menschen verankert ist: Frei zu sein und diese Freiheit mit anderen zu feiern.

Dieser Freiheitsgedanke scheint auf den ersten Blick nicht zum strengen Regelwerk zu passen, das im Sport gilt. So könnte man jedenfalls den Apostel Paulus verstehen. Er schreibt an seinen Schüler Timotheus: „Wer einen sportlichen Wettkampf bestreitet, erhält den Siegeskranz nur, wenn er nach den Regeln kämpft.“

Dass es im Sport Regeln geben muss, ist selbstverständlich. Ohne sie kann kein fairer Wettkampf funktionieren. Die spannende Frage lautet aber: Was ist das Ziel dieser Regeln? Sollen sie unsere Freiheit beschränken oder diese erst ermöglichen? Ein Blick auf den Fußball hilft hier: Alle Vereine einigen sich darauf, was gelten soll, damit das Spiel möglichst fair abläuft. Dann wird gemeinsam ein Schiedsrichter bestimmt, der für ihre Einhaltung verantwortlich ist.

Verhält es sich so auch im Glauben? Lange Zeit ist in Kirchen gepredigt worden, dass Gott die Regeln aufstellt und die Kirche über ihre Einhaltung wacht. Die Rolle als Schiedsrichterin ist ihr aber nicht gut bekommen. Viele Menschen sind durch das rigide Vorgehen des selbsternannten göttlichen Bodenpersonals abgeschreckt worden – und werden es zum Teil bis heute.

Dabei kann das Sportbeispiel des Paulus auch ganz anders verstanden werden: Das Leben ist anstrengend wie ein sportlicher Wettkampf. Aber die Anstrengungen sind nicht vergeblich. Am Ende erhalten alle einen Siegeskranz. Die einzige Bedingung ist, dass sie miteinander nach gemeinsam verabredeten Regeln kämpfen.

Gott ist in diesem Bild nicht der Urheber der Regeln, sondern gibt das Ziel vor: Am Ende sollen alle beschenkt werden. Entscheidend ist, dass die Regeln so gestaltet sind, dass sie allen die Teilnahme ermöglichen. Deswegen sind sie auch nicht starr vorgegeben, sondern müssen von allen Beteiligten immer wieder miteinander ausgehandelt werden. Dazu gibt es nur zwei Bedingung: Einerseits müssen sie Freiheit ermöglichen, anderseits dürfen sie niemanden schaden.

Nach diesem Verständnis ist die Bibel nicht das große Regelwerk, das allen vorschreibt, wie sie zu leben haben. Sie berichtet vielmehr davon, wie Menschen miteinander und mit Gott ringen, welche Regeln gelten sollen. Manche plädieren dafür, diese möglichst eng zu fassen. Andere wollen viel Raum lassen. Für beides lassen sich in der Bibel gute Beispiele finden.

Entscheidend für dieses Verständnis ist, dass wir von Gott eingeladen sind, uns an der gemeinsamen Diskussion zu beteiligen: Wie soll unser Zusammenleben gestaltet sein? Was kann gelten? Wie gehen wir mit individuellen Grenzen um?

Auf diese Weise kann ein lebendiger Glaubens-Wettkampf entstehen, der sowohl dem Bedürfnis nach Regeln als auch nach Freiheit entspricht. So kann die Kirche zu einem Ort werden, an dem wie im Fußballstadion gejubelt und gefeiert wird –weil am Ende alle den Siegeskranz erhalten.


Dr. Sönke Lorberg-Fehring, Referent für den Christlich-Islamischen Dialog im Bereich Interkulturelle Ökumene, Beauftragter der Nordkirche