餐厅 cāntīng

Die Kantine.
Vor zwei Wochen haben wir uns mit einigen von Luises Schüler*innen zum Mittagessen getroffen. Die Verständigung ist holprig und sehr lustig. Selbstbewusst steuern Luise und ich auf das futuristische Gebäude im Herzen des Collegegeländes zu. Schon seit Wochen kehren wir dort unregelmäßig ein, wir haben beinahe verstanden, wie man sein Essen bestellt und bezahlt, und dort haben wir auch den bisher einzigen englischsprechenden Schüler am College getroffen. Es ist immer schön sich unter die Schüler*innen zu mischen.
Doch irgendetwas stimmt nicht. Nach einer Weile begreifen wir das Zögern der Mädchen. Gehen wir nicht in die Mädchenkantine?
Zugegeben, hier waren schon immer auffällig viele Jungen anzutreffen. Aber dass es eine extra Kantine für Jungen und Mädchen gibt, das hatten wir nicht gewusst. Die Trennung ist nicht strikt, es mischt sich ein bisschen, deshalb ist es uns wohl nicht aufgefallen. Nach einem herzlichen gemeinsamen Lachen entscheiden wir uns dann doch für die Mädchenkantine.
Eine Kantine für die Lehrer*innen gibt es auch noch, lernen wir später.

zuhause ist, wo es warm ist

Es ist schon einige Zeit her…
Sonntagmorgen halb 7. Luise und ich sind nach einer Woche Ferien auf dem Heimweg.
Als uns der Nachtzug eine Stunde vorher im Dunkel der Nacht ausspuckte, hatte 酒泉 Jiǔquán uns keinen warmen Empfang bereitet. Nach der 15stündigen Fahrt hatten wir 1300 km Richtung Norden hinter uns und trotz der hastig übergestreiften doppelten Pullover- und Jackenschichten begann ich augenblicklich zu zittern. Kalt.
Verschlafen und verfroren trotten wir durch 酒泉 Jiǔquán zu unserer Wohnung. Da eröffnet sich dieses Bild. Die schmale Gasse ist menschenleer, doch ein Licht scheint und in diesem Licht steigt Dampf gen Sternenhimmel. Jeden Morgen holen wir hier unser Frühstück. Doch zu dieser ungewöhnlichen Zeit, nach dieser langen Reise, ist der verheißungsvolle Anblick unseres 包子 bāozi – Ladens ein Segen. Als die gefüllten Hefeklöße dampfend in meinen Händen liegen und der Verkäufer uns wie jeden Tag freundlich verabschiedet fühle ich mich wieder in 酒泉 Jiǔquán angekommen. Denn zuhause ist, wo es warm ist.
Das gilt auch für unsere Wohnungen. Nach einigen langen Wochen, in denen man sich nur unter der Wärmelampe im Bad, neben dem Gasherd oder mit Wollsocken unter der Bettdecke richtig wohl fühlen konnte, ist nun endlich die Heizung angegangen. Mit der Wärme kehrt auch die Gemütlichkeit und Heimeligkeit ein.
Der wärmste Ort, den ich hier kenne, ist übrigens die Wohnung einer chinesischen Familie, die uns regelmäßig zum Abendessen einlädt. Auch dort fühlt es sich schon seit dem ersten Eintreten irgendwie nach zuhause an.
Oder irre ich mich? Ist es nicht die Wärme der 包子 bāozi und Heizungen, sondern die Wärme der Freundlichkeit, Warmherzigkeit, Vertrautheit und Gastfreundschaft?
Wer weiß…

Frühling

Wenn mir der frische Duft von knospenden Blumen vor der Tür in die Nase steigt…
Wenn an einem kühlen Morgen die Sonnenstrahlen mein Gesicht wärmen…
Wenn ich mich mitten in einem leuchtenden Rapsfeld wiederfinde…
Wenn jedem neuen Tag ein Anfang innewohnt…
Wenn auf kalte Tage warme Tage folgen…

… dann ist es wohl Frühling.


 
PS: Nur, dass jetzt keiner verwirrt ist, auch auf diesem Teil der Nordhalbkugel geht der Sommer gerade zu Ende. Ich bin einfach nur in Frühlingsstimmung. Es sieht hier aus wie Frühling, es riecht nach Frühling und das Leben fühlt sich auch nach Frühling an.

Ein Privileg

An einem sonnigen Donnerstag bin ich in ein Flugzeug gestiegen. Einfach so. Man hat mir ein Flugticket in die Hand gedrückt, ich bin durch die Sicherheitskontrolle spaziert und dann habe ich 10 Stunden in einem Transportmittel verbracht, welches ca. 1, 6 Tonnen* CO² in der Atmosphäre verteilt hat. Meine zwei Gepäckstücke durften auch mit. In Nanjing dann nochmal meinen deutschen Pass vorzeigen, durch die Identitätskontrolle und dann war ich schon da. Im Reich der Mitte. Im Zentrum der Welt, zumindest auf den Karten hier. Gelandet in der Volksrepublik China, Jiangsu Province, Nanjing.

Mittlerweile bin ich allerdings – nach weiteren 2100 km und 0,7 t* CO² – in Jiuquan angekommen, meinem neuen Zuhause auf Zeit. Eine chinesische Kleinstadt mit ca. 400.000 Einwohnern im Nordwesten der nordwestchinesischen Provinz Gansu. Wir treffen auf engagierte Menschen, die uns zwölf deutsche Freiwillige in Empfang nehmen. Die uns zum Essen einladen, ins Hotel bringen, unsere Koffer quer durchs Land verschicken, uns die größten Shoppingmalls und überlaufensten Museen zeigen, SIM-Karten und Bankkonten einrichten und uns am Ende des Tages nochmal zum Essen einladen.
Es wurden viele Fäden gezogen, damit ich jetzt hier sein darf. Die Verantwortung für dieses Privileg trage ich mit mir. Ebenso wie die Dankbarkeit.
 
Der sonnige Donnerstag ist schon genau einen Monat her. Die Zeit fließt vorbei, zurück und um mich herum. Noch ist alles irgendwie dazwischen. Zwischen hier und dort, ankommen und da sein, denken und tun, hören und verstehen. Der Satz „tīng bu dǒng“ (ich höre, aber ich verstehe nicht) geht mir schon im Schlaf von den Lippen. Tage reihen sich aneinander wie Perlen und formen einen Alltag, der noch kein Alltag ist. Luise und ich richten uns ein in unseren neuen vier Wänden, zaubern aus Leere Vertrautheit, aus Stille Musik. Unsere Tage sind von morgens bis abends ausgefüllt, dennoch drehen wir noch unsere Runden in der Warteschleife. Noch eine Woche Transitzeit, dann beginne ich zu unterrichten.


Was wollt ihr Lesenden wohl wissen?
Ach ja, es geht mir gut. Sehr gut sogar. Von meinem Schreibtischplatz am Fenster schaue ich in den wilden Garten vor unserer Tür, über meinem Bett verströmt eine Lichterkette Gemütlichkeit, Chinesisch lernen macht Spaß, ich wurde ausgezeichnet auf das Unterrichten vorbereitet, das Klima ist momentan super angenehm und das Essen ein Traum. Alles in Butter. Oder eher in Karamell.
Ausblick

Das soll es erstmal gewesen sein.
Paula
 
*www.myclimate.org hat gerechnet