"Die drei ???" am Fluss (13.09.2019)

Wohnzimmer, Schlafzimmer, kleine Nasszelle und eine aus einer Elektroplatte und Wasserkocher bestehende Küche. Meine erste eigene Wohnung, wenn auch auf ein Jahr befristet. Wie man der Beschreibung entnehmen kann, bin ich ENDLICH an meiner Schule in WenXian angekommen.

Zwischen dem letzten Artikel und WenXian lag noch eine dreistündige Fahrt durch wunderschöne Gebirgslandschaft.

Wir, also mein Mitfreiwilliger Jona aus Aschaffenburg und ich, staunen nicht schlecht, als wir die Kulisse der Stadt und der Schule das erste Mal erblicken. Inmitten so gigantisch grüner Berge fühlt man sich fast schon winzig und unbedeutend. Besonders für mich als Flachländer eine ganz neue Erfahrung. Nach kurzer Führung durch unsere Wohnungen geht es direkt weiter zu einem großen Willkommensdinner für alle Lehrkräfte unserer Schule. Bei Reiswein und Bier lernen wir Direktion und zuständige Lehrer kennen. Alle freuen sich riesig darüber, dass wir da sind und sind sehr interessiert an uns. Die nächsten beiden Tage – es ist Wochenende – schauen und ich uns zunächst die Stadt an und lernen erste Lehrer kennen, die uns auch prompt zum Mittagessen einladen und in interessante Diskussionen verwickeln. Da wir auf dem Schulcampus wohnen, werden wir natürlich auch schnell von den Schülern entdeckt. Aufgeregt trauen sich die Mutigen unter ihnen, uns ein „Hello!“ entgegenrufen und freuen sich riesig über jegliche Antwort. Ich nutze unsere ersten beiden Tage für einen Spätsommerputz sowie zur Einrichtung meiner „ersten“ Wohnung. Nachdem wir uns zwei Englischstunden von hiesigen Englischlehrern angeschaut haben, geht es dann auch für mich los.

Zehn Minuten zu früh und recht aufgeregt treffe ich meine erste richtige Klasse. Die erste von insgesamt 11 Klassen, die ich pro Woche unterrichte. Was zunächst noch wenig wirkt, ändert sich spätestens, wenn man realisiert, dass die Klassen aus mindestens 50 bis 60 Schülern bestehen. Dementsprechend groß die Aufgabe, jedem dieser Schüler in der ersten Stunde einen englischen Namen zu geben. Mit großer Aufregung folgen die Schüler der Stunde, in der ich von mir und meiner Heimatstadt berichte. Besonders ein Bild vom sommerlichen Stadtstreek gefiel vielen der Schüler, auch wenn der Name Rotenburg (Wümme) für viele eher befremdlich wirkt.

Inzwischen habe ich die erste Woche hinter mir und auch die gröbsten organisatorischen Hürden geschafft: ich habe einen Platz in einem der vielen Lehrerzimmer, eine Mensakarte und die Funktionen des Wasserspenders im Lehrerzimmer sind geklärt. Ab nächster Woche laufen dann auch Chinesisch-Unterricht und ersten Taiji-Stunden an. Ich bin gespannt!

Mein Stundenplan ist sehr freundlich gegenüber Langschläfern – so liegen die meisten Stunden im Nachmittagsunterricht. Allerdings nutze ich die Zeit morgens, um meinen Unterricht vorzubereiten oder auch, um mit anderen Lehrern aus meinem Lehrerzimmer zu reden. Auch wenn viele zunächst aus Scham vor ihren Englischkenntnissen nicht von selbst auf mich zukommen, freuen sie sich umso mehr, angesprochen zu werden. Eine Lehrerin lud mich spontan, nachdem ich sie im Schulbus kennengelernt hatte, zu sich Nachhause zum Abendessen ein. Bei ihr angekommen, lernte ich ihre Eltern, sowie Mann und Kind kennen und verbrachte gemeinsam mit ihnen den Abend. Es sind diese unvorhersehbaren Kontakte und Situation, die die letzten zwei Wochen für mich so unglaublich spannend gemacht haben.

Langsam schaltet sich eine Routine in meinem Leben ein. Ein „All-Tag“ sieht aktuell so aus: Nach einem kurzen Frühstück in der Mensa, begebe ich mich in das Lehrerzimmer. Um 9:00 strömen alle Schüler auf den gigantischen Sportplatz. Nach Klassen sortiert laufen sie daraufhin für 15 Minuten im Kreis, stets im Rhythmus traditioneller chinesischer Marschmusik, die durch quäkende Lautsprecher erschallt.  Daraufhin habe ich bis ca. 12:00 Unterricht oder Vorbereitung. Um 11:50 begebe ich mich erneut in die Mensa, ein wahrlich riesiges Gebäude, bestehend aus drei Stockwerken mit jeweils eigenen Küchen und drei kleinen Läden. Wenn ich um 12:00 dann einen Sitzplatz ausgesucht habe, höre ich mit dem ersten Klingeln der Schulglocke schon das laute Trampeln auf dem Mensa-Vorplatz. Über 2500 Schüler wollen jeweils die Ersten in der Schlange sein und laufen jeden Tag erneut, als ginge es um ihr Leben. Täglich ein schönes Schauspiel. Auf das Mittagessen folgt eine zweistündige Mittagspause, in der ich in meiner Wohnung entweder schlafe oder Serien schaue. Den Nachmittag über sind dann erneut Unterrichtsstunden bis 18:00. Daraufhin nehme ich den Bus und fahre in die drei Kilometer entfernte Innenstadt, um zu Abend zu essen. Meist gibt es Nudeln oder Baozi, eine Art gefüllte Teigtasche. Den Weg zurück zur Schule jogge ich an einem großen Fluss entlang Nachhause. Inmitten über 2000m hoher, grüner Berge höre ich dann „Die drei Fragezeichen“, ein wahrlich witziger Kontrast. Wenn ich schließlich am Schultor ankomme, sitzen die Schüler bereits wieder in ihren Klassenzimmern und haben bis 23:00 evening class. Ich habe damit nichts zu tun, gehe in meine Wohnung und „skype“ oder schaue Filme. Da China westliche Copyright-Regelungen größtenteils nicht anerkennt, gibt es hier allerlei Internetseiten, auf denen man „legal“ englische Filme und Serien schauen kann. Bei all der Begrenzung des Internet wenigstens ein positiver Aspekt für mich. Gegen 24:00 geht´s  Schlafen. Am Wochenende habe ich frei – im Gegensatz zu den Schülern, die auch samstags Unterricht haben. Ich erkunde die Stadt oder gehe dann Wandern. Allerdings sind die Berge dafür nicht so recht ausgelegt, so gibt es keine richtigen Pfade oder Routen. Doch haben wir einen Lehrer kennengelernt, der in den kommenden Tagen mit uns zunächst noch einen etwas „kleineren“ Berg besteigen will. Ich bin schon voller Vorfreude.

Wie man wahrscheinlich meinem Schreiben entnehmen kann, fühle ich mich hier sehr wohl. Nicht nur meine Wohnung, sondern auch die Umgebung ist wirklich schön und vor allem die Menschen sind unglaublich freundlich. Ich freue mich jeden Tag neu auf das gemeinsame Arbeiten mit meinen Schülern, auch wenn ich jetzt schon den Gedanken aufgegeben habe, alle ihre Namen zu lernen. Ich hoffe, ich konnte einen groben Eindruck von meinem „All-Tag“ geben. In der übernächsten Woche möchte konkreter auf Einzelheiten eingehen und über meine Stadt oder auch Umwelt und Natur hier vor Ort berichten.

Griechischer Wein (31.08.2019)

Wüste. So weit das Auge reicht. In weiter Ferne gigantisch anmutende Berge. Ich beschreibe eine Postkarte. Aber das soll eine Postkarte aus China sein? Wohl kaum! Umso verwunderter bin ich als ich diese Landschaft letzte Woche erleben darf. Wir besuchen das westliche Ende der Chinesischen Mauer in Jiayuguan. Mit großen Erwartungen fahren wir zum Kastell, welches das Ende der Mauer darstellt. Umso enttäuschter sind wir, als wir das „Mäuerchen“ vorfinden, welches hier in der Wüste ziemlich mickrig wirkt. Das Kastell ist dafür umso schöner. In mir kommen wahrlich Kindheitserinnerungen hoch, zurückerinnert an den Disney Klassiker „Mulan“. Trotz der Lage inmitten einer überaus kargen Landschaft, sind überall chinesische Touristen, die eifrig fotografieren. Schnell aber sehen sie eher uns, als deutsche Freiwilligengruppe, als Attraktion an, sodass teils sogar die wahre Intention ihrer Ausflüge in den Hintergrund rückt und wir für Fotos mit ihren Kindern herhalten dürfen. Außerhalb der Mauern in der Htze liegen Kamele in der erdrückenden Hitze, die gegen geringe Kosten geritten werden können. Ich verzichte. Kamele reiten in China? Das habe ich mir irgendwie anders vorgestellt.

Nach nunmehr drei Wochen im Land der Mitte komme ich langsam wirklich an. Essen bestellen, oder auch der Einkauf muss nach wie vor durch Übersetzer App und mit Händen und Füßen erledigt werden, jedoch lerne ich Woche für Woche überlebenswichtige Phrasen. Die Zeit in Jiuquan auf dem Lehrerseminar ist intensiv, aber auch sehr hilfreich. Während wir vormittags unsere Übungsstunden vorbereiten, haben wir nachmittags kulturelle Aktivitäten mit einem einheimischen Englischlehrer. Zusammen mit ihm besuchen wir ein Einkaufszentrum oder auch die lokale Poststation und bekommen grundlegende Informationen vermittelt. Abends haben wir meistens Freizeit. In dieser erkunden wir die Millionenstadt auf eigene Faust, und besuchen unter anderem ein Kino, in dem tatsächlich auch ein westlicher Blockbuster mit englischem Audio läuft…eine willkommene Abwechslung! Aber auch ein Besuch im KTV (chinesische Karaokebar) mit unseren Verantwortlichen ist dabei. In China eine sehr beliebte Aktivität. In einem eigenen Separee geben wir Freiwilligen unsere Englischkünste bei allerlei Hits der 2000er zum Besten, aktueller sind die Lieder leider nicht. Die Zeit vergeht wie im Flug. Schnell ist also auch meine erste Probestunde gekommen.

Knapp 40 erwartungsvolle Schüler stehen von ihren Plätzen auf und begrüßen mich an diesem Mittwochmorgen. Zwei Tage Arbeit habe ich in die Stunde gesteckt. Unter anderem habe ich einen Lesson-Plan erstellen müssen und Spiele und Flashcards vorbereitet. Aufgeregt begrüße ich die Schüler und bitte sie, sich wieder hinzusetzen. Meine Stunde behandelt das Thema Reisen. Für die Schüler im Alter von 14-17 Jahren ist das nicht gerade ein alltägliches Thema. Nach einem kurzen Einstieg beschreibe ich anhand einer großen Weltkarte meine Reise aus Deutschland bis in den hohen Norden Chinas. Daraufhin lasse ich die Schüler schätzen, wie lange die reine Reisezeit wohl gewesen sein könnte. Nach dem ich drei Antworten im Bereich zwischen einer und drei Stunden erhalten habe, löse ich schließlich auf. Es waren weit über 30 Stunden. Kaum fassbar für die Schüler. Geflogen ist noch keiner von ihnen, wie sich herausstellt. Umso passender ist mein nächstes Spiel, für das ich extra für jeden Schüler ein Flugticket am Computer zusammengebaut habe. Anhand dieses Flugtickets befragen sich die Schüler, wann ihr Flug startet und wohin sie überhaupt reisen werden. Eine recht abstrakte Aufgabe für sie, aber gleichzeitig auch spannend. Beim Ausdrucken im Copyshop neben der Schule hatte der Besitzer mich nur erstaunt angeguckt, als er am Computer sah, wie viele Flugtickets er ausdrucken sollte mit Zielen wie Paris oder Shanghai. Es braucht recht lange, bis ich ihm erklären kann, dass ich es nur als Unterrichtsmaterial nutzen will, und die Tickets nicht echt sind. Eine von vielen witzigen Situationen. Nach den kurzen Dialogen, die sich teils doch als recht schwierig erweisen, versuche ich mit den Schülern einen kleinen Wettkampf auszufechten, denn wie immer wieder von unseren Mentoren erklärt wird: Chinesische Kinder lieben den Wettkampf. So erkläre ich ihnen, wir würden einen Camping Ausflug machen, und sie sollen mir sagen, was unbedingt mitmuss. Nachdem ich zwei Teams gebildet hatte, meldete sich bloß leider keiner, obwohl ich das Spiel zweimal erkläre. Wie sich herausstellt, wissen sie nicht, was campen ist, obwohl es eigentlich Teil ihres Englischbuches ist, an welchem ich mich orientiere. Mit sehr vielen Tipps und Bildern schafft es schließlich ein Team das Spiel zu gewinnen. Schließen tue ich die Stunde mit dem Klassiker „Ich packe meinen Koffer“, der überraschenderweise sehr gut funktioniert und mit Begeisterung angenommen wird. Geschafft! Insgesamt bin ich zunächst nicht wirklich zufrieden, weil meine Aufgaben teils nicht dem Englischlevel der Schüler gerecht werden, aber damit bin ich nicht der Einzige. Das Hauptproblem der meisten Freiwilligen liegt darin, dass wir uns an dem Stoff der Lehrbücher orientieren. Zwar können die Schüler sehr gut geschriebenes Englisch lesen und Aufgaben bearbeiten, allerdings sind ihre Möglichkeiten, die Sprache mündlich zu nutzen, sehr begrenzt. Grund dafür ist auch das die chinesischen Englischlehrer selbst oftmals Probleme mit der Aussprache haben. Darin wird die nächsten 11 Monate über meine Aufgabe liegen. Der Unterricht mit den Schülern hat mir sehr viel Spaß bereitet und auch ihr Interesse an der Sprache und der Spaß, den sie mit diesem interaktiven Unterricht haben, ist deutlich erkennbar. Einen schöneren Lohn gibt es denke ich nicht. Am Ende des Seminars bekommt jeder chinesische Schüler bei einer großen Abschiedsparty, bei der wir Freiwilligen deutsche Klassiker wie „Griechischer Wein“ unter viel Gejubel zum Besten geben, ein Zertifikat, was ihr Engagement bescheinigt. Nach einem ausführlichen Fotoshooting mit allen Schülern ist unser Seminar dann auch schon wieder vorbei.

Gestern sind wir mit dem Schnellzug in die 10 Millionen Stadt Lanzhou gefahren und haben heute einen weiteren Medical Test für unser Visum gemacht. Nun gibt es wirklich nichts mehr, was China nicht über mich weiß. Aber dazu ein anderes Mal mehr! Morgen geht es dann nach WenXian und ich darf meine Wohnung beziehen. ENDLICH!

Satt trotz Stäbchen (17.08.2019)

5.August 2019: Die Reise ins Unbekannte beginnt. 11 Monate China liegen vor mir, 11 Monate neuer Begegnungen, 11 Monate neuer Erfahrungen, aber auch 11 Monate so unglaublich weit weg von Zuhause.

Über Hannover ging es nach Amsterdam und von dort aus nach China. Nach einigen Komplikationen mit meinem Reisepass und einem gestrichenen Flug kam ich schließlich nach 24 Stunden Flug und mit viel zu wenig Schlaf in Nanjing, China an. Das erste, was mir als ich chinesischen Boden betrat entgegenkam, war allerdings nicht das losgeschickte Begrüßungskommando, sondern die unglaubliche Hitze und Feuchtigkeit der Luft. Zusammen sind diese beiden eine wahrlich fatale Kombination! Nach kurzer Fahrt zum Hotel und einem kurzen Kennenlernen mit den anderen neun deutschen Freiwilligen, war dann der Moment gekommen, an dem ich das erste Mal die kulinarische Küche Chinas, zumindest in Teilen erleben durfte. Eine wahre Fülle an verschiedensten Speisen und Essgewohnheiten erwarteten mich. So bestellten unsere chinesischen Verantwortlichen verschiedenste Gerichte, welche, anders als in Deutschland üblich, in die Mitte des Tisches auf eine drehbare, kreisförmige Platte gestellt wurden und ein heiteres Gezanke um die besten, bzw. exotischsten Stücke auslöste. Dabei gab es neben allerlei fleisch- und fischhaltiger Gerichte auch diverse vegetarische Pendants. Neben verschieden zubereiteten Lotusblumen und diversen Reisspeisen waren auch bei uns in Deutschland verbreitete Gemüsesorten wie Kartoffeln oder Blumenkohl darunter. Auch das noch zuvor noch so kompliziert anmutende Essen mit Stäbchen war schnell in Ansätzen gelernt, sorgt allerdings nach wie vor für viele verstohlene Blicke und Kopfschütteln von den Nachbartischen.

Am gleichen Abend noch spazierten wir daraufhin durch den Stadtpark von Nanjing und waren schier sprachlos von den Menschenmassen, die sich um solch späte Uhrzeit (ca.21:00) noch auf der Straße vergnügten. Eine Beobachtung, die sich an den nächsten Abenden immer wieder machen ließ.

Anders als bei uns, fände das Leben, so erklärte man mir, in der Öffentlichkeit statt. Besonders die ältere Generation nutze dabei die Zeiten vor und nach dem normalen Tagesgeschehen, um die Zeit im Kreise ihrer Familien zu nutzen. In den eigenen vier Wänden verbringe man seine Zeit nur wenn es draußen zu kalt sei, bzw. zum Schlafen, so erklärte man mir.

 Im Park wurden gemeinsam Tea-Times abgehalten, Sheng-Fui praktiziert, zusammen getanzt oder auch unglaublich komplex anmutende Brettspiele praktiziert und das stets ohne Außenstehende auszugrenzen. Des Öfteren wurden wir zum gemeinsamen Tanz eingeladen, doch hielt ich mich zunächst noch sehr bedeckt, da ich erst meine Zeit benötigte, um wirklich in dieser völlig fremden Welt anzukommen. Ein jeder freute sich allerdings, wenn man sich als „Fremder“ in der Landessprache probierte und war hilfsbereit.

In den nächsten drei Tagen besuchten wir einige Einrichtungen unserer christlichen Organisation in China, Amity. Neben der größten Bibel-Druckerei Chinas, betreibt jene einige inklusive Bäckereien im Großraum von Nanjing und Shanghai, in welchen geistig beeinträchtigte in den Arbeitsprozess, als vollwertige Mitarbeiter eingebunden und ausgebildet werden – für mich als Rotenburger natürlich besonders interessant-. Wir wurden herumgeführt und man versuchte uns ein Bild vom Einsatz der NGO zu bieten, zu dem wir selbst als Teil von dessen „YAP-Programm zählen.

Nach vielen deliziösen Mahlzeiten flogen wir schließlich mit allen deutschen Freiwilligen und einigen Amity Mitarbeitern Richtung Norden in die Provinz Gansu, der eigentlichen Einsatzprovinz, in die Millionenstadt Jiuquan. Hier erhalten wir seit nunmehr 3 Tagen „Teachertraining“. Im sicheren Rahmen von Probeklassen, Schülern, die ihre Ferienzeit freiwillig aufgeben, um Kontakt zu Ausländern zu erhalten, die in dieser eher ärmlichen Regionen eine große Ausnahme darstellen. Anhand dieser Probeklassen sollen wir hier das Lehren lernen. Eine wahre Herausforderung!

Anders als noch in der recht internationalen Stadt Nanjing, ist man hier als „Ausländer“ eigentlich immer im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. So wird man des Öfteren nach Fotos gefragt, oder einfach mit Blicken gelöchert oder auch heimlich fotografiert. Auch auf einem öffentlichen Festival in der Innenstadt, waren wir, nachdem uns ein Kameramann nach kurzer Zeit entdeckte, schnell auf den riesigen Leinwänden neben der Bühne zu sehen. -Hier ein wahres Zeichen von Prestige für ein Restaurant oder auch Festival, wenn man sich nachsagen lassen kann, international zu sein.- Nach einiger Zeit der Gewöhnung, begann es mir aber Freude, mit so wenig Aufwand den Menschen so viel Freude zu bereiten. Allerdings muss man sich stets dessen bewusst sein, dass es dabei primär um das eigene Äußere geht, was nun mal hier von dem gesellschaftlichen Standard abweicht und aufgrund dessen umso auffälliger ist. Aber zumindest in Ansätzen versuchte ein Großteil in gebrochenem Englisch, aber mit viel Mühe nach der Herkunft und den Motiven für den Aufenthalt zu fragen. Die nächsten Tage werden weiterhin sehr anstrengend und gefüllt sein, umso schneller wächst aber auch die Vorfreude endlich Anfang September an meine Schule und in meine Wohnung zu kommen.

Good morning class, how are you today?

Die ersten Wochen unterrichten an der Huixian Middle School Nr. 4 liegen bereits hinter uns.
Namensschilder wurden geschrieben und werden jede Stunde auf’s neue verteilt, mein Vorhaben jedem*r Schüler*in einen eigenen Namen zu geben konnte ich sogar verwirklichen. (Und an den Neuntklässler, der sich seinen Namen selbst aussuchen wollte: Nein, Berserker ist kein geeigneter English Name, danke für’s Gespräch.)
Diesen ganz bestimmten Blick, den man durch die Reihen schicken muss, damit die Klasse ruhig wird, den muss ich vermutlich noch perfektionieren, aber der Prototyp tut’s bisher auch ganz gut.
Und ich glaube, meine laute Stimme, wegen der ich mein Leben lang „Jenny, sei doch nicht immer so laut“ gesagt bekommen habe, zahlt sich endlich aus.

Wie genau bringt man Kindern, die kaum mehr Englisch sprechen als Deutsche Drittklässler diese Sprache näher, ohne wirklich bemerkenswertes Chinesisch zu sprechen?
Mit Händen, Füßen, Mimik, Gestik, Beispielen an der Tafel, Liedern, Bildern, einer liebevoll erstellten Powerpoint, verwirrten Gesichtern seitens der Schüler*innen, verzweifelten Gesichtern auf Seiten der Lehrkraft, Erfolgen und Rückschlägen.
So muss sich mein Mathelehrer in der siebten Klasse gefühlt haben, als er uns das erste mal das berühmt-berüchtigte X vorstellte.

Ich hoffe wirklich, dass die Kinder am Ende meines Jahres hier etwas mitnehmen können, und wenn es nur ein paar Brocken Englisch sind, die gerade mal für awkward Smalltalk ausreichen.

Aber nicht nur die Kinder lernen eine neue Sprache.
Auch wir Freiwilligen verbeißen uns an der Sprache, die sonst als Synonym für Unverständlichkeit benutzt wird. Mein einziges Ziel ist es, am Ende dieses Freiwilligendienstes auf die Phrase „Spreche ich Chinesisch?!“ sarkastisch mit „Dann würde ich dich wenigstens verstehen.“ antworten zu können.
Auf die Frage „Teacher, do you speak chinese?“ folgt also ein promtes „No“.
(Ich meine, die Kinder sollen ja auch nicht den Eindruck bekommen, dass ich mich darauf einlassen würde, ihnen den Unterricht mit chinesischen Erklärungen zu erleichtern.)
Ironischerweise ist wǒ bù huì shuō zhōngwén (Ich kann kein Chinesisch sprechen) der Satz, den ich am sichersten sagen kann.

Als europäische Lehrkraft hat man aber von Anfang an eine andere Position, als eine chinesische Englischlehrkraft. Denn ich bezweifele ehrlich gesagt stark, dass sich nach dem Unterrichten bei der regulären Englischlehrkraft eine Schlange am Lehrendenpult bildet, weil jede*r Schüler*in noch etwas von der Lehrkraft will. In der ersten Stunde war es mein Name, den alle noch einmal aufgeschrieben haben wollten, denn es reicht ja nicht dass dieser an der Tafel steht; manchmal drücken mir Kinder kleine Geschenke wie einen Stift in die Hand, einmal hat eine Schülerin mir ein Bild gemalt, welches ich auf den Stapel „Irgendwann wenn Zeit ist mal in deiner Wohnung aufhängen“ gelegt habe.
Vorgestern hat ein Schüler nach dem Unterricht zu mir gesagt, dass ich „an excellent english teacher“ bin und wollte mit den paar Phrasen, die er konnte, ein Gespräch mit mir halten.
(Übrigens, seine Lieblingsfarben sind Grün und Schwarz; das Stundenthema waren Farben.)
Sogar nach meiner Handynummer wurde schon gefragt, wo sie im regulären Englischunterricht doch gerade die Zahlen von 0 – 9 gelernt haben und üben, wie man nach Telefonnummern fragt und sie gibt.

Andere der Schüler*innen sind echt kleine Quälgeister. In irgendeiner Klasse musste ich einem Schüler eine Gummihand abnehmen, weil er die ganze Zeit seine Mitschüler*innen damit abgelenkt hatte. (Warum hat man eine Gummihand mit in der Schule??)
Ein anderer Schüler ist vor der Stunde an meinem Handy (beziehungsweise im passwortgeschützen Lockscreen) gewesen, was auf dem Lehrendenpult lag, während ich die Powerpoint auf dem Smartboard aufgerufen hatte. Als der gesehen hat, dass ich ihn erwischt hatte, da ist er aber gerannt.

Aber trotzdem, die Lehrkräfte sind und bleiben Respektspersonen. Wenn wir durch die Flure der Schule laufen, dann werden wir meist von einigen Schüler*innen begrüßt. („Hello, teacher!“, „Good morning teacher!“, „Good afternoon, teacher!“)
Einige verbeugen sich auch vor uns. Sowohl im Unterricht, als auch auf dem Flur. Und sie freuen sich ungeheuerlich, wenn wir sie zurück grüßen. („Good morning, Clara!“)
Auch wenn es zugegebener Maßen öfter als angemessen vorkommt, dass Nini und ich uns danach ansehen und fragen, ob das jetzt ein*e Schüler*in von ihr oder von mir war. Aber in 3 Wochen hat man sich eben noch lange nicht alle 870 Namen gemerkt, die man im Unterricht hat.

In China gibt es übrigens den sogenannten Teachers Day. An unserer Schule hat jede Lehrkraft einen Blumenstrauß und einen Beutel voller Obst und Mooncakes (ein traditionelles Gebäck, welches man unter anderem zum Mid-Autumn-Day isst) geschenkt bekommen, überreicht von der Schulleitung.
Ich weiß gar nicht mehr wohin mit dem ganzen Obst, bisher habe ich in China mehr Granatäpfel gegessen, als in meinem gesamten Leben in Deutschland.

Aber so sehr ich das Unterrichten die meiste Zeit über tatsächlich genieße, natürlich bin auch ich jetzt froh, endlich in mein Wochenende starten zu dürfen. Zumindest wenn ich meinen Unterrichtsplan für die nächste Woche fertiggestellt habe.

Falls dieser Blogeintrag auf wundersame Weise den Weg ins Lehrendenzimmer meiner ehemaligen Schule findet, möchte ich an dieser Stelle alle Lehrkräfte grüßen, die mich in meiner Schullaufbahn im Unterricht hatten. Danke, danke, danke, dass ich Englisch lernen durfte!

Vertrautheit in der Fremde

Wir sind jetzt seit 3 Wochen in China. Es waren Wochen, die sich angefühlt haben wie Monate, Tage an denen man bereits Abends vergessen hatte, was man am Morgen gemacht hatte.
Die ersten Tage in Nanjing waren die erste Reizüberflutung, die erste von vielen, und 20 Tage, die wir gemeinsam in Jiuquan verbracht hatten, brachten eine gewisste Routine in die Gruppe.

Frühstück auf den Zimmern (für die meisten hieß das, dass einfach bis zum Lunch um 12 nichts gegessen wurde; gefüllt waren unsere Mägen eigentlich trotzdem immer), Unterrichtseinheit, Lunch, Chinese challenge oder cultural activity, Freizeit, Dinner.
Bei der Bäckerei in der Nähe des Hotels kauften wir stets unsere geliebten ‚Snickers Kugeln‘ (so nannten wir sie jedenfalls), in der Tee-Bude in der Food Street holten wir Mango-Eistee oder Matcha-Milchshakes.
„Zhège!“, also ‚Das da!‘ hieß es dann, während wir auf die Bilder auf den Karten zeigten. „Xièxie!“, also ‚Danke‘ riefen wir beim verlassen des Lokales.
Fantasievoll erfanden wir Geschichten über unseren Lieblingskoch in dem Lokal, in dem wir immer Beefnoodles aßen, oder wir fühlten uns schlecht, wenn wir in einem anderen unserer Stammlokale Fried Noodles mit Tomate und Ei bestellten, und dann sahen, wie die kleine Tochter der Inhaberin zum Tomaten kaufen auf den Markt geschickt wurde.

Wir entdeckten die Wüste, standen auf dem Westende der chinesischen Mauer und verbrannten uns die blasse Haut dabei, drehten Filme über die Zombieapokalypse, in in der Gobi-Wüste in einer Höhle begann, picknickten an einem künstlichen See und ließen uns von kleinen Fischen an den Füßen rumknabbern.
Und wir machten viel Mittagschlaf. Die Weihnachtsmusik auf der Straße fiel uns gar nicht mehr auf.

Wir adaptierten viele Dinge der chinesischen Kultur schneller, als man denken würde.
Scharfe Chillis wurden in wettkampfähnlichem Ausmaße gegessen, mit den Stäbchen hatte schnell niemand mehr ein Problem. Und die Spritzer auf der Kleidung, die eben so passierten, wenn man lange Nudeln mit Stäbchen isst, trugen wir unbekümmert auf der Brust, denn „Wenn man sich nicht einsaut, war es kein gutes Essen!“

Für ¥1.80 kauften wir Tigerbalsam, welches wir zunächst nicht einmal aufbekamen, weil der Verschluss zu seltsam geformt war. Verstopfte Nasen, müde Augen, Koffeinentzug, Übelkeit und Langeweile konnten mit der frischlich-scharfen Salbe erfolgreich bekämpft werden.

Man lernte sich kennen, wuchs zusammen. Es enstanden die Wurzeln von Freundschaften, bei denen ich mir gut vorstellen kann, dass sie eine lange Zeit halten würden.
Dieses Jahr hier wird vielleicht das Jahr unseres Lebens, und wir begingen nicht nur die ersten Wochen gemeinsam, sondern würden uns bestimmt zu Feiertagen, Geburtstagen und anderen Festen besuchen.

Denn nun, nach 3 Wochen, in denen das Hotel in Jiuquan unser Zuhause war, in denen die Stadt unsere Vertrautheit war, in denen wir als Gruppe zusammengewachsen waren… Mussten wir uns am Bahnhof in Lanzhou nach einer fünfstündigen Zugfahrt von ein ander verabschieden.

Das klingt jetzt viel herzzerreißender, als es eigentlich war, zumal wir uns am nächsten Tag bei dem Medizintest, den wir für das Visum brauchen, sowieso wiedergesehen hatten. Trotzdem war es ein seltsames Gefühl, aus der behütenden Hand Sally’s in die Unvertrautheit unserer Einsatzstellen übergeben zu werden.

Huixian ist kein Bergdorf, wie wir befürchtet hatten. Auch hier dominieren hohe Bauten das Stadtbild, der SUV, in dem wir 5 Stunden lang eingezwängt waren, bahnte sich durch die Straße (ganz getreu den Motti des Autofahrens in China: Zwäng dich in die kleinsten Lücken und Wer bremst verliert) und Nini und ich betrachteten zum ersten Mal unser neues Zuhause.

Unsere Wohnungen befinden sich auf dem Schulcampus. Gestern als wir eingezogen sind, habe ich noch vor dem Auspacken meine Mama per Videochat angerufen und ihr hochemotional (Das ist ein Codewort für ‚weinend‘, aber vor Glück) alles gezeigt. Nach fast 19 Jahren behüteten Hauses mit der Familie, wohne ich also zum ersten mal allein in einem kleinen Apartment. Ein kleines Stück Freiheit und ein großes Stück Verantwortung kommen einher mit dem Schlüssel für das Vorhängeschloss der Tür.

Unsere Schule ist riesig. Laut Eric, dem Englischlehrer der siebten Klasse, ist die Schule für chinesische Verhältnisse eher klein, hat aber viele Schüler*innen. Der siebte Jahrgang besteht aus 18 Klassen, ca. 60 bis 70 Kinder pro Klasse.
Der neunte Jahrgang hat ’nur‘ 14 Klassen.
Jede von uns beiden hat 9 siebte Klassen, für die jede Woche eine Stunde vorbereitet werden muss. Dazu kommen 7 neunte Klassen, die wir jeweils im zwei-Wochen-Takt unterrichten.
Das wird allein schon mit meinem Namensprojekt spannend, da ich jedem*r Schüler*in einen individuellen englischen Namen geben will, ohne Wiederholungen.
Sieht so aus, als müsste ich noch etwas an meiner Namensliste arbeiten, bisher habe ich nur 500 Namen.
Nicht zu vergessen die English Corner, die wir gemeinsam zwei Mal die Woche für die Achtklässler*innen vorbereiten und halten.

Jetzt fängt der Freiwilligendienst also wirklich an. So wirklich-wirklich.
Jetzt geht also wirklich planlos der Plan los.
Wobei, so planlos bin ich gar nicht. Meine erste Unterrichtsstunde ist fast fertig durchstrukturiert, wir gehen gleich Einkaufen und danach muss ich Wäsche waschen und einmal durchwischen.

Wow, das klang ja so, als ob ich jetzt wirklich erwachsen sei.

Weihnachten im August

Auf den Straßen ertönt alle paar Minuten die Melodie von „We wish you a merry christmas“ und in meiner Trinkflasche ist schon seit einigen Tagen nichts anderes mehr als warmer Tee enthalten. Das muss die Weihnachtszeit sein.

Oder auch beliebiger Augusttag in Jiuquan, wo das Thermometer kuschelige 30°C anzeigt.
„Das Wetter heute ist sogar etwas kalt für hier“ wurde uns von den Juniors erklärt, als wir uns während der English-Corner mit ihnen unterhalten durften.

Nun haben also die 20 Tage Teachers-Training in der Wüstenstadt in Gansu begonnen.
Bereits übermorgen werden die Ersten ihre erste Unterrichtsstunde geben, und wir alle sind fleißig am Vorbereiten. Und am Essen.
Das Essen. Ich liebe ja chinesisches Essen. Aber vermutlich werde ich nach dem Jahr hier nie wieder in ein chinesisches Restaurant in Deutschland gehen können, ohne mich ununterbrochen darüber zu beschweren, dass diese den westlichen Geschmäckern angepassten Gerichte gar nicht an die Originale heran kämen.

Bei den Mittag- und Abendessen schallt immer wieder dieselbe Frage durch den Raum:
„Sally, what is that?“
Sally, unsere Betreuerin von Amity, bestellt bei solchen Mahlzeiten immer mehrere Gerichte, die dann nach und nach von den Kellner*innen zu Tisch gebracht werden.

Mal ist es eine riesige Schüssel Reis, oder ein Teller voll frittiertem Zeug, von dem niemand (außer Sally) weiß, was es vor der Fritteuse war. Meine persönlichen Favoriten hierbei waren Lotosblüte und Aubergine.

Mit Stäbchen können wir inzwischen alle zumindest so gut umgehen, dass niemand über Hunger klagt. Im Gegenteil, viel zu oft sind wir noch vom Mittagessen so satt, dass wir kurz aufseufzen, wenn es heißt, dass wir jetzt zum Abendessen gehen.

Wenn wir in Restaurants sitzen, fallen wir als Europäer*innen aber natürlich immer auf. Gestern, als wir Jíaozí (also Dumplings) gegessen haben, wurden wir mehrmals nach Fotos gefragt.
Letztens wurde während wir unterwegs waren sogar einfach ein Kleinkind neben mir abgestellt, ein Foto geschossen und das Kleinkind wieder eingesammelt. Es sind diese skurrilen Situationen, die einem zeigen, wie selten sich Touristen nach Jiuquan verlaufen, und wie fasziniert diese Nation von europäisch aussehenden Personen zu sein scheint.
Auch als wir uns mit den Juniors unterhalten hatten, baten diese uns nach der Stunde ganz höflich darum, Fotos mit uns machen zu dürfen.

Kaum zu glauben, dass wir erst vor einer Woche her geflogen sind. Die Tage waren bisher so lang und ereignisreich, dass es sich anfühlt, als wären wir schon seit einem Monat hier.

Und um die Anekdoten vom Anfang noch einmal aufzubringen:
Warmer Tee ist bei diesem Klima der ultimative Geheimtipp, auch wenn das vermutlich nicht für jede*n etwas ist. Außerdem ist es praktischer, das Wasser hier mit dem Wasserkocher abzukochen und dann zu trinken, statt sich immer wieder Wasserflaschen zu kaufen.
Und das irrtümliche Weihnachtsfeeling wird durch LKWs erzeugt, die mit großen Wassertanks beladen durch die Stadt fahren und Wasser auf die Straße spritzen, damit der Asphalt nicht durch die Trockenheit und die Hitze zu spröde wird.
Natürlich müssen die sich ja durch irgendetwas bemerkbar machen. Und so spielt dieser LKW eben das Weihnachtslied, welches uns alle jetzt schon langsam aber sicher wahnsinnig macht.

Ein anderer LKW hier spielt jedoch eine Accustic-Version von Jennifer Lopez‘ „On the Floor“.
Ob JeyLo denn davon überhaupt weiß?

Wir sind da!

Es hat (für Nini und mich, Aaron und Jenny durften später ab Hannover fliegen) auch „nur“ 35 Stunden gedauert, bis wir endlich in Nanjing angekommen sind. Der lange Flug nach Guangzhou war turbulent und die Anschlussverbindung nach Nanjing wurde gecancelt – man hat sich allerdings hervorragend um uns gekümmert und die neuen Boardingpässe lagen schon bereit. Außerdem gab es eine positive Überraschung: WhatsApp funktioniert!
Nach weiteren 2,5 Stunden im Flugzeug sind wir dann (sogar mit Koffern) in Nanjing angekommen und wurden mit dem Bus abgeholt, in dem auch schon die anderen Freiwilligen der Mission eine Welt und des Berliner Missionswerks auf uns gewartet haben.
Wir wurden direkt zum Hotel gebracht, in dem wir uns schnell frisch machten und chinesisch zu Abend aßen. Das mit den Stäbchen muss definitiv noch geübt werden, aber das Essen war sehr lecker.
Danach haben wir uns einen Park, der direkt gegenüber vom Hotel liegt, angesehen und waren begeistert: es herrschte dort eine tolle Atmosphäre mit ausgelassenen Menschen, die am Tanzen und am Spaß haben waren, Musik und McDonalds-Eis-Stationen.
Die nächsten 3 Tage sind wir hier in Nanjing bei der Amity Foundation auf Seminar, danach geht’s für 20 Tage zum Teaching-Training nach Jiuquan und dann können wir endlich loslegen!

Suzhou Market

Mitten in der unterschwelligen Auszieh- und Packpanik erfasst mich in den letzten Tagen das Bedürfnis etwas vom Alltagsleben festzuhalten. Und weil es eben Alltag ist, habe ich bestimmt fünf Mal vergessen meine Kamera mitzunehmen, bis ich bei meinem letzten Besuch auf dem Markt endlich daran gedacht habe.

Der Markt ist eine der großen Markthallen des Stadtbezirks und 5-10 Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt. In den ersten Monaten haben wir dort regelmäßig eingekauft, bevor sich der Weg zur Arbeit ein bisschen geändert hat. Der 肃州市场 Suzhou Market hat drei Geschosse: unten ist ein viel zu großer Supermarkt und Schmuckgeschäfte, in der Mitte die offene Gemüse-, Fisch- und Fleischhalle sowie kleine Läden mit Krimskrams und Gewürzen, und oben kann man Kleidung, Stoffe, Schuhe und Bettwäsche finden.

Selbstverständlich kann man hier um alles handeln (außer im Supermarkt). Es ist immer viel los und besonders eindrücklich ist der Geruch, der sich beim Durchqueren der Markthalle ständig ändert und neu vermischt.

Erwachen

Am vergangenen Wochenende bin ich mit zwei Mitfreiwilligen in den Süden der Provinz 甘肃 Gānsù gefahren um das buddhistisches Kloster Labrang (chin.: 拉卜楞寺Lābǔlèng Sì) in der Stadt 夏河 Xiàhé zu besichtigen. Obwohl es auf Grund der Höhenlage in den Bergen kälter war als in 酒泉 Jiǔquán habe ich mal wieder einen Sonnenbrand bekommen. Im Sonnenschein die warmen Rot- und Gelbtöne auf dem Weiß der Klosteranlage zu betrachten, zum Frühstücken auf einen kleinen Berg zu steigen, Gebetsmühlen drehend einmal das ganze Kloster zu umrunden und im Halbschatten einen Eimer Joghurt zu löffeln – das alles war wunderschön, entschleunigend und gleichzeitig belebend. Besonders die leuchtenden Farben begleiten mich auf dem Rückweg und mit ihnen eine gute Portion innerer Freude und Schwung. Einmal rauskommen, etwas Neues sehen (oder auch vieles, es ist unmöglich all die Eindrücke des Wochenendes zu beschreiben, all die Gedanken, Erkenntnisse und Fragen, all die einprägenden Bilder wie der Wechsel nach einer mehrstündigen Fahrt auf der Autobahn durch eine flache Landschaft voller Moscheen zu einer kleineren Straße durch Berge gesprenkelt mit den farbenfrohen Anzeichen buddhistischer Kultur).

Das Erste was mir bei der Ankunft zurück in 酒泉 Jiǔquán auffällt ist die klare Luft. Das Zweite sind das Grün und die Tupfer von zartem Rosa und Gelb. Über das Wochenende hat der Frühling auch die Natur in der Stadt zu neuem Leben erweckt. Es ist eine Veränderung so fein und doch unverkennbar und radikal. Es blüht. Nach all dem Grau und Braun der letzten Monate fühlt es sich tatsächlich wie ein kleines Wunder an. Mein Blick bleibt jedes Mal wieder an den zarten Blüten und Blättern hängen. Ist es nicht schön zu wissen, dass der Frühling einen halben Planeten verzaubert? Ist es nicht schön, dass diese Freude so grenzenlos ist? Ist es nicht schön?