Von Flugzeug zu Nudeln

Als ich das erste Mal in China angekommen bin, wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Ich durchlebte ein komplettes Gefühlschaos, war aufgeregt, neugierig – und ehrlich gesagt, ziemlich nervös. Ich habe mich gefragt, was wohl alles schiefgehen könnte, wie ich bei Problemen agieren sollte und hatte teilweise wirklich Angst. Ein Jahr meines Lebens würde ich nun in einem fremden Land verbringen.

Schon die ersten Tage haben mir jedoch ein sicheres Gefühl gegeben. Meinem jetzigen Gefühlsstand nach bin ich mir sicher, dass diese Reise mein Leben nachhaltig prägen wird, da jeder einzelne Schritt meiner Seite und jeder neue Eindruck, sowie jede neue Begrüßung eines neuen Menschen in meinem Leben mir das Gefühl gibt, dass ich hier willkommen bin.

Wir Freiwilligen in China haben eine Achterbahn an Gefühlen erlebt, von unzähligen neuen Ankünften und Reisen, aber auch Besichtigungen und Kennenlernen von wichtigen historisch-kulturellen Orten oder das Kennenlernen von Personen, die man schon nach kurzer Zeit in sein Herz geschlossen hat. Von einigen dieser Momente und Personen, die ich, auch wenn ich wieder in Deutschland bin, mit Sicherheit niemals vergessen kann, aber auch niemals vergessen möchte, und auch von einem Teil meiner bisherigen Erfahrungen und Erlebnisse möchte ich jetzt erzählen.

Am 6. August war es soweit: Meine Mitfreiwilligen und ich sind nach einem langen, aber tatsächlich problemlosen Flug in Nanjing angekommen. Zunächst gab es Abendessen, welches das erste chinesische Essen für uns gewesen ist. Obwohl ich den für uns Verantwortlichen im Voraus nicht über meine vegetarische Ernährung Bescheid gegeben habe, fiel es mir nicht schwer, Essen ohne Fleisch und Fisch zu bekommen, da in China viel Gemüse gegessen und zubereitet wird. Was mir an China sehr gefällt, ist, wie hier gegessen wird: Es gibt bestimmte Regeln und Essgewohnheiten, auf die man zu achten hat, da diese zur Kultur und Tradition Chinas gehören.

Glücklicherweise wurden uns diese Regeln nicht nur bei den Vorbereitungen, sondern auch an dem Tag während des Essens mitgeteilt. Fehler waren jedoch nicht sehr schlimm, da wir nur unter uns gegessen haben, wodurch das Essen eine perfekte Übung für kommende Anliegen dargestellt hat. Das Essen wird traditionellerweise in die Mitte eines drehbaren Tisches gestellt, und jeder kann sich von den verschiedenen Gerichten etwas auf seinen eigenen kleinen Teller tun, was ich als sehr vorteilhaft empfinde, da man sich so nicht nur für ein Gericht, wie es normalerweise in Deutschland ist, entscheiden muss, sondern von allem probieren kann.

Einen besonderen Eindruck hat auf mich unsere erste Kalligrafie-Stunde gemacht. In dieser Stunde hat uns ein Kalligraf (书法家) gelehrt. Auf Chinesisch nennt man einen Kalligrafen Shūfǎ jiā, was übersetzt so viel wie „Meister der Kalligrafie“ bedeutet. Faszinierend ist vor allem, wie hier Kunst und Schrift verbunden werden. Die fließenden Linien lassen die geschriebenen Schriftzeichen wie Kunstwerke aussehen. Um die Wirkung eines Kunstwerks zu erreichen, braucht man aber sehr viel mehr als einige Stunden an Übung, wie wir feststellen mussten, da wir trotz fleißiger zwei bis drei Stunden noch immer nicht komplett zufrieden gewesen sind. Mit Sicherheit werdet ihr in ein paar Monaten in meinem Blog von Fortschritten hören, ich werde dranbleiben!

Am 9. August haben wir schon unseren ersten Freund in China gefunden. Getroffen haben wir uns, als wir in ein Restaurant gehen wollten. Er war gerade dabei, nach der Arbeit nach Hause zu gehen, doch haben wir ihn gefragt, wo wir hingehen könnten, woraufhin er zusammen mit uns in einen kleinen Laden gegangen ist. An dem Abend haben wir die Möglichkeit bekommen, ihn genauer kennenzulernen. Sein Name ist für uns genauso schwer auszusprechen, wie es für ihn mit unseren Namen ist, weshalb er den Spitznamen „Peter“ und ich den Spitznamen „Nana“ bekommen habe. Da Gastfreundschaft in China besonders großgeschrieben wird, bestand er darauf, für uns zu bezahlen. Dies war der Anlass für uns, ihn am nächsten Tag, an dem wir etwas mehr Freizeit zwischen unseren Vorbereitungsstunden bekommen haben, auf ein Mittagessen einzuladen. Was mir durch das Zusammenkommen zum Essen aufgefallen ist, ist, dass die Menschen in China völlig anders mit ihren Handys am Tisch umgehen. Anders als in Deutschland, wo es unhöflich ist, auch nur kurz am Handy zu sein, wird es hier als normal angesehen, sich während des Essens Videos anzuschauen und anderen Menschen zu schreiben. Selbstverständlich ist das anders bei Arbeitsessen oder bei Essen mit Menschen, die hier in einer Autoritätsposition sind, doch ist es unter Freunden und Bekannten gängig.

Eine weitere Freundin, die ich in Nanjing kennenlernen durfte, heißt Mai. Nachdem wir in einer Mall in Nanjing unterwegs gewesen sind, haben sich ein paar Freiwillige und ich auf die Treppen eines Skateplatzes hingesetzt. Mai, die mit anderen Freunden dort gewesen ist, kam auf uns zu, und wir haben eine kleine Unterhaltung gehabt. Sie hat gefragt, ob wir Freunde auf WeChat sein können, und ich habe zugestimmt. Später haben wir geschrieben und uns für die kommenden Tage verabredet. An den darauffolgenden Tagen haben wir uns sehr oft getroffen. Sie hat uns einen Tempel in Nanjing gezeigt und ist mit uns in eine belebte Einkaufsstraße gegangen, wo wir nach Souvenirs schauen konnten. Zudem hat sie uns einige typisch chinesische Gerichte gezeigt. Interessant an Mai ist ihre Weltoffenheit. Nicht nur, weil sie extrovertiert und aufgeschlossen genug war, um auf uns zuzukommen, sondern auch, weil eines ihrer größten Interessen das Reisen und das Kennenlernen von anderen Kulturen ist. Zum Beispiel hat sie uns erzählt, dass sie in Australien surfen gewesen ist oder hat uns von ihrem Aufenthalt in Deutschland berichtet. Ihre Vorliebe zum Reisen erklärt, warum ihr Englisch so gut ist, wir konnten uns wirklich lange unterhalten.

Da wir in der ersten Woche in Nanjing besonders viel Freizeit gehabt haben, hatte es sich für uns die Möglichkeit ergeben, neben dem Eingewöhnen besonders viele Kontakte zu knüpfen, was wir dementsprechend auch genutzt haben. Bei den meisten Chinesen gibt es eine Sprachbarriere, die jedoch kein Problem darstellt, da jeder Mensch in China WeChat hat. Der Messenger übersetzt jede Nachricht, die man erhält, in die Muttersprache um.

Beschäftigter sind wir in den zwei Wochen darauf in Lanzhou gewesen, da wir dort intensiver und sehr viel länger darauf eingegangen sind, wie man zu unterrichten hat.

Wir haben gelernt, wie man sich zu kleiden hat, beziehungsweise was man bedecken soll, wie man sich den Respekt der Schüler „verdient“ und wie man seine Stunden zu planen und durchzuführen hat. Als Übung hierfür sollten wir schon richtige Stunden planen und dabei genauer auf die Einführung, das Aneignen von neuem Wissen, das Arbeiten mit dem neuen Wissen und auf die Schlussfolgerungen vom Unterricht achten. Auch sollten wir unsere erste Stunde, die wir an unseren Schulen halten würden, schon planen, sollten also Präsentationen vorbereiten, in welche wir uns selbst etwas vorstellen, um Feedback voneinander und von unseren Lehrern vor Ort bekommen zu können.

Nebenbei haben wir auch Wichtiges kulturelles gelernt, so waren wir beispielsweise im „Gansu Provincial Museum“. Das Museum liegt am Ufer des Gelben Flusses, dem zweitlängsten Fluss Chinas, und ist eines der frühesten umfassenden Museen in China. Es verfügt über mehr als 80.000 historische Artefakte und Naturexemplare. Von der Antike bis zur Neuzeit Gansus, man fand dort alles.

Im Kopf ist mir die Stadt Jiankang geblieben. Während der Zeit der sechs Dynastien, in denen China politisch instabil gewesen ist, da es mehrere konkurrierende Dynastien gab, die um die Vorherrschaft kämpften und Süden und Norden oft getrennt gewesen sind, hat die Stadt Jiankang die Rolle des politischen Zentrums, oder auch die der Hauptstadt, insbesondere für den Süden übernommen. Der soziale und politische Aufruhr trug damals zur Verbreitung von Taoismus und Buddhismus bei, sodass zahlreiche buddhistische Tempel um Jiankang errichtet wurden. Bevor dies geschah, gab es nur den Konfuzianismus und den chinesischen Volksglauben.

Nach den zwei Wochen wurde es Zeit für mich, meine eigene Einsatzstelle kennenzulernen: Wir sind endlich nach Huixian gefahren. Begleitet haben uns zwei Lehrer, die wir schon in Lanzhou treffen konnten. Am selben Abend schon haben wir mit vielen Lehrern und dem Schulleiter zusammen gegessen, weshalb ich umso mehr dankbar dafür bin, dass wir die Chance bekommen hatten, schon in Nanjing über die Regeln des gemeinsamen Essens hier aufgeklärt zu werden.

Über Huixian und meine Einsatzstelle gibt es natürlich auch noch ganz viel zu erzählen und ich freue mich schon darauf meinen nächsten Bericht zu schreiben…

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(  ̳• · • ̳)
/    づ♡ Eure Heli<3

Nicht aller Anfang ist schwer

Noch jetzt, fast zwei Monate später fällt es mir manchmal schwer zu realisieren, dass ich in China angekommen bin und das Abenteuer, auf das ich so lange drauf hin gefiebert habe schon mitten im Gange ist….


Noch jetzt, fast zwei Monate später fällt es mir manchmal schwer zu realisieren, dass ich in China angekommen bin und das Abenteuer, auf das ich so lange drauf hingefiebert habe schon mitten im Gange ist. 

Die letzen Wochen sind wortwörtlich wie im Fluge vergangen.

Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich einen Außenstehenden bestmöglich an meinen Erfahrungen teilhaben lassen kann und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es garnicht mal so einfach ist, die ganzen vielen Eindrücke in einem Text wiederzugeben, aber ich versuche mein Bestes. 

Bevor ich anfange möchte ich noch ein kleines Vorwort loswerden, versprochen, dann beginne ich wirklich mit meinen „ersten“ Eindrücken. 

In den letzten Wochen habe ich so viele neue Menschen kennengelernt, die mich sehr herzlich aufgenommen haben.
Sie haben mir einmal mehr deutlich gemacht,  wie wichtig es ist offen gegenüber diesem Land zu sein, das es wichtig ist seine eigenen Erfahrungen zu machen und den Menschen, der Kultur und der Gesellschaft ohne Vorurteile und Erwartungen gegenüber zu treten und sich auf sie einzulassen.

Alte Kindheitserinnerungen mischen sich mit neuen Erfahrungen 

„你吃过饭了吗?“ oder auch „Hast du schon etwas gegessen?“ 

Das ist mit einer der häufigsten Sätze, die man als Begrüßung zu hören bekommt. Dieser Satz beinhaltet vor allem zwei Intentionen.
Ganz nach dem Motto Liebe geht durch den Magen möchte sich dein gegenüber damit erkundigen, ob du heute schon etwas gegessen hast und ob es dir gut geht.

Sollte das nicht der Fall sein, so wird man entweder immer direkt zum essen eingeladen, oder man bekommt etwas angeboten. Das ist somit die zweite Intention. 

Ich finde die Idee dahinter eigentlich echt schön, denn man kommt viel einfacher mit anderen Leuten ins Gespräch, und entdeckt nebenbei auch ganz viele „geheime“ Lokale, die man als nicht-einheimischer nicht gefunden hätte. 

Einen großen Teil meiner Kindheit habe ich in China, um genauer zu sein in Yunnan, verbracht, da meine Mama Chinesin ist. 
Aus diesem Grund waren meine ersten Eindrücke ein Gemisch aus Altbekannten und neuen Erfahrungen. 

Angekommen sind wir in Nanjing, der geschichtlichen Hauptstadt im Osten Chinas, wo unser Vorbereitungsseminar starten sollte.

Insgesamt ging dieses Seminar einen Monat. Drei Wochen davon haben wir in Nanjing verbracht. Eine Woche in der Landeshauptstadt Lanzhou in der Provinz Gansu im Norden Chinas. 

Unsere Partnerorganisation ist die Amity Foundation. Sie ist eine unabhängige chinesische Nichtregierungsorganisation, die 1985 auf Initiative chinesischer Christen von Bischof K.H. Ting gegründet wurde, um Bildung, soziale Dienste,  Gesundheit, ländliche Entwicklung, Umweltschutz und Katastrophenhilfe von Chinas Küstenprovinz im Osten bis zu den Minderheitengebieten des Westens zu fördern. 

Während unserer Zeit dort haben wir nicht nur die Möglichkeit bekommen einige Projekte der Amity näher kennenzulernen indem wir einige Tage einen Blick hinter die Kulissen werfen durften,  sondern haben auch einen tollen Einblick in die chinesische Kultur und ihre Traditionen bekommen. 

Von Kalligraphie, chinesischer Kunst bis zu Museen und spannenden Präsentationen über Themen wie die muslimische Kultur in China war alles dabei.
In diesem Beitrag alles zu beleuchten würde den Themen und Menschen, die das alles möglich gemacht haben nicht gerecht werden.
Aus diesem Grund möchte ich mich auf drei Erfahrungen beschränken, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind und diese näher erörtern. 

Der Kalligraphie Workshop und der Workshop zur chinesischen Kunst.         
                   
Auch wenn ich zugeben muss, dass ich kein besonders großer Kunstliebhaber bin, haben mir diese Workshops sehr viel Spaß gemacht. Wir haben nicht nur für uns einzigartige Souvenirs daraus mitgenommen, sondern auch einen tieferen Einblick in die Kultur und Traditionen bekommen. 

Ein paar Ergebnisse unseres Kalligraphie Workshops


Das Haolaiwu Home Elderly Care Service Center                         
                                                 
 
Für drei Tage hatte ich die Möglichkeit in einem Altenheim zu helfen und die Menschen bei ihrem Alltag zu begleiten.
Das Altenheim befindet sich momentan in einem Krankenhaus, da das eigentliche Gebäude renoviert wird. 
Vorort haben wir kleinere Gymnastikeinheiten geleitet und ich habe auch ein paar Lieder auf meiner Kürbisflöte (ein traditionelles chinesisches Instrument aus Bambus, welches ich seit meiner Kindheit in China spiele) für die Bewohner gespielt.

Das schönste dabei für mich war vor allem mit den Leuten in den Austausch zu kommen und sich mit ihnen zu unterhalten.
Meine Mitfreiwilligen waren aufgrund von einer Grippe, die der Klimaanlage zu schulden ist, krank geworden.

Kleiner Funfact, Nanjing zählt zu den drei größten „Hitzekesseln“ Chinas.
Während unseres Aufenthaltes hatten wir meistens 39 Grad und ein sehr schwüles Wetter,  weshalb sich eine Klimaanlage mit nur 32 Grad echt erfrischend angefühlt hat, und ja, ich hätte auch nie gedacht, dass ich das mal sagen werde. 

„The Memorial Hall of the Victims in Nanjing Massacre“                

Vom 13. Dezember 1937 bis Januar 1938 besetzten japanische Truppen Nanjing, die damalige Hauptstadt Chinas, und massakrierten über 300.000 Zivilisten und Kriegsgefangene.
Dieses blutige Ereignis wurde später der Welt als „Nanjing-Massaker“ bezeichnet.

Das Museum zeigt eine Fülle von historischen Aufzeichnungen, Artefakten und Fotografien, die einen tiefgreifende Gedenkraum schaffen und mich tiefberührt und zum nachdenken angeregt haben. 

Nach drei Wochen sind wir dann tausend Kilometer weiter geflogen in die Landeshauptstadt der Provinz Gansu. 

Gansu ist eine chinesische Provinz,  die zwischen der Wüste Gobi, dem tibetischen Hochplateau und Xinjiang liegt. Sie wird vom Gelben Fluss geprägt und weite Teile der Provinz sind gekennzeichnet durch Wassermangel. 

Gansu ist ein zentrales Bindeglied der Seidenstraße, auch deshalb leben dort unterschiedlichste Ethnien und Minderheiten. 

Etwas was ich hier an der Stelle nochmal ins Bewusstsein rücken möchte ist, dass Gansu flächentechnisch sogar ein kleines bisschen größer als Deutschland selbst ist. 

In Lanzhou haben wir unseren zweiten Teil des Seminars absolviert. Wir haben ein intensives Training rund um das Thema Schule in China bekommen und uns mit den Fragen „Wie gestalte ich eine Unterrichtsstunde?“, „Was für Regeln gibt es an einer chinesischen Schule?“ und vieles mehr beschäftigt.  

Das alles ist nun über einen Monat her, aber es fühlt sich für mich an, als wäre es erst gestern gewesen. 

Seit einem Monat bin ich nun an meiner Einsatzstelle und jetzt schon fühle ich mich sehr wohl hier und kann es kaum erwarten euch mehr über meinen Alltag und die Menschen um mich herum zu erzählen und sie euch vorzustellen. 

Ich möchte mich nun mit der Frage: „你吃过饭了吗?“ verabschieden und bin neidisch auf die Leute dessen Antwort gewesen wäre „ja ich habe gerade Brot gegessen“, denn ich muss zugeben, so langsam vermisse ich Brot welches nicht süß ist. 

Die Unendliche Geschichte

„Damals, als ich im Ausland war-„

„Während meines Freiwilligendienstes-„

„Das erinnert mich an eine Erfahrung was ich in meinem Auslandsjahr gemacht habe-„

Was haben alle diese Sätze gemeinsam?
Die Antwort: In 80% der Fälle folgt ein Kommentar der anderen Gesprächsparteien darüber, dass man doch bitte mal über etwas anderes als seine Auslandserfahrungen reden soll.

Ich mag vorurteilsbelastet sein, war ich ja selbst im Ausland. Logischerweise, was hätte ich sonst auf diesem Blog verloren?

Aber nun beantwortet mir bitte ganz ehrlich: Was ist so schlimm daran von dieser einen Sache zu erzählen, die einen so sehr verändert und wachsen lassen hat?

Ich sehe das so: Mir wurde schon so oft gesagt, dass ich aufhören soll immer so viel von einem einzigen Thema zu reden. Egal was es ist. Wenn ich für etwas brenne, rede ich viel darüber. Und anscheinend sind einige Leute davon genervt.
Was ich tatsächlich kaum nachvollziehen kann. Ich hatte schon oft die Situation in der eine Person, mit der ich befreundet bin, überenthusiastisch über etwas berichtet oder schwärmt, was mich beim besten Willen nicht interessiert hätte.
Aber ist nicht allein diese Emotion etwas wunderschönes? Enthusiasmus, Lebensfreude, Leidenschaft. Das Glitzern in den Augen wenn man von etwas erzählt was einem am Herzen liegt.
Mich für meinen Teil macht das ziemlich glücklich wenn ich sehe dass mein Gegenüber im Gespräch aufblüht. Aber nun, nicht jede*r muss so denken wie ich, das ist mir natürlich auch bewusst.

Aber dann erkläre mir doch mal bitte jemand, weshalb sich in solchen Situationen dann darüber lustig gemacht werden muss, wenn Lisa wieder zu viel über Australien redet.
Menschen zu zeigen, dass sie ihre Passion zu Themen nicht ausdrücken können, das ist psychisch gesehen so ziemlich der größte Mist den man machen kann. Es resultieren Menschen die unsicher sind, das Gefühl haben durch ihre Leidenschaften invalide oder lächerlich zu sein. Es dauert Jahre bis man aus diesem Denken wieder heraus kommt und sich keine Vorwürfe mehr macht, dass man gerade doch tatsächlich länger als anderthalb minuten über ein Thema geredet hat.

Davon einmal abgesehen, natürlich gibt es viel zu erzählen!

China waren für mich sieben Monate meiner Lebenszeit. Ich bin doch nicht nach Asien gereist um ohne Geschichten und persönliches Wachstum im Koffer zurück zu kommen.
Und da erwartet man wirklich von mir, dass ich mein restliches Leben davon schweige?

Einige Situationen sind ja nicht einmal China-spezifisch. Ob mir diese Anekdote in einem Nachtzug von Yinchuan nach Lanzhou oder in einem ICE von Hamburg nach Hannover passiert, das spielt doch nicht mal eine Rolle. Aber natürlich, allein mit der Einleitung „Während meines Auslandsaufenthalts“ ist alles hinterhergesagte invalide, denn „Jetzt erzählst du ja schon wieder davon, ja, wir wissen dass du in China warst und dass es dich für dein Leben geprägt hat.“

Natürlich hat es das. Wer als Freiwillige*r ins Ausland geht ohne sich zu verändern zu wollen, hat den Sinn dahinter nicht verstanden. Das waren kostbare Erfahrungen die ich gemacht habe, und die soll ich nun nicht teilen dürfen?

Das ganze soll natürlich nicht übertrieben verstanden werden. Ich renne nicht auf wildfremde Personen zu und brülle ihnen ins Gesicht „Hey ich war in China, willen Sie wissen was ich alles gelernt habe?!“
Aber meine Güte, es wird doch wohl nicht zu viel verlangt sein wenn ich mir nicht jedes mal sobald das Schlagwort „Ausland“ fällt, ein Witz á la „Bestellst du in Restaurants jetzt auch nur noch auf Chinesisch“ um die Ohren geschlagen wird.

Denn im Endeffekt sehe ich es so:
Niemand zwingt einen sich mit einer rückgekehrten Person zu unterhalten. Wer keine Lust hat, möge aufstehen und gehen.

Weil, naja. Wer genervt davon ist, dass ich mit Freude und Erinnerung von Momenten erzähle, die mein Leben bereichert und verändert haben, der ist vielleicht meine Zeit auch gar nicht wert.

Kontraste

Die Welt ist im Ausnahmezustand, diese Information ist niemandem fremd. Dieser Ausnahmezustand sorgte nun zuletzt auch für den Abbruch unser aller Freiwilligendienste. Als vorzeitige Widerkehrer*innen sitzen wir nun zuhause und überlegen, was mit uns anzufangen, in dieser Zeit der Extreme.

Denn irgendwie ist alles gleichzeitig laut und leise.

Die Nachrichten sind laut, jeden Tag dieselben Schlagzeilen neu aufgewärmt. Ausgangssperre, Mindestabstand, überlastete Gesundheitssysteme. Dass Deutschland auf Rang zwei der sichersten Länder in Zeiten der Krise steht, tröstet zumindest ein wenig von der verfrühten Rückkehr.

Die Straßen sind leise. Weniger Betrieb als gewohnt. Man trifft nur sehr selten Leute die man kennt, keine rasche Umarmung und Smalltalk.

Zu Anfang waren die Supermärkte laut. Regale wurden leergefegt wie man es sonst nur aus Apokalypsen-Filmen kennt. Verbale Handgemenge darum, wer die letzte Tüte Nudeln, das letzte Säckchen Mehl, die letzte Packung Toilettenpapier an sich nehmen darf.

Jetzt sind auch die Supermärkte wieder leise.
Einige Regale sind regelmäßig komplett leergeräumt. Begrenzte Personenzahlen, ein Einkaufszettel auf dem akribisch genau steht was in welchen Mengen gebraucht wird. Sortiert nach Kategorie, je nach Regal, damit der Einkauf schnell und zielstrebig hinter sich gebracht werden kann, um schnurstracks wieder in die sichere Umgebung der eigenen vier Wände zurückkehren zu können.

Das Zusammenleben mit der Familie ist laut. Eine Permanente Nähe, welche manchmal wahrlich nur schwer zu händeln ist. Lagerkoller. Streits. Überforderte Elternteile, die ihre eigenen Kinder zuhause unterrichten müssen und die Lehrkräfte in der Schule plötzlich feiern wie Held*innen.
Selbst in diesem Laut-Sein innerhalb des Familienlebens gibt es einen Kontrast: Gesellschaftwissenschaftler*innen gehen davon aus, dass nach Corona sowohl Scheidungsraten als auch (mit 9 Monaten Abstand) Geburtsraten steigen.

Für Menschen, die alleine leben, ist es mucksmäuschenstill. Keine Freund*innen werden eingeladen, keine Partys werden geschmissen.
Selbstkonfrontation mit sich selbst und nur sich selbst. Das kann als Chance oder als Last gesehen werden. Oder auch als beides.
In den zwei Monaten in Isolation vor meiner Rückreise nach Deutschland war es oft sehr laut in meiner Wohnung. Der Bluetooth-Lautsprecher auf 100%, die Stimmbänder auf 120%.

In den Parks ist es laut wie nie. Rauskommen, Frischluft atmen. Mit einer anderen Person spazieren gehen, immer den Mindestabstand einhaltend natürlich. Die Natur erholt sich von so vielem, was ihr in den letzten Jahren angetan wurde, auch sie ist metaphorisch laut.

Kulturangebote sind fast gänzlich verstummt. Und das in einigen Fällen vielleicht für immer. Theaterhäuser sind geschlossen, Großveranstaltungen aller Art sind abgesagt. Ein drastischer Einschnitt für alle die, deren Existenzen daran hängen.

Während auf der einen Seite Menschen um ihre Existenz bangen müssen, fühlt es sich auf der anderen Seite geradezu heuchlerisch an, wenn Hollywoodstars in Sozialen Medien darauf beharren, dass es nun wichtig ist, weiterhin zusammen- und durchzuhalten.
“Wir alle sitzen im selben Boot”, heißt es gerne mal. Dass es sich bei diesem Boot um die Titanic handelt, in der die erste Klasse zuerst evakuiert, während die Holzklasse sich selbst überlassen wurde, das wird gerne vergessen.
Aber sie meinen es ja auch nur gut und wollen Trost spenden.

Die Welt steht Kopf. Durch diesen Virus, den gerade wir in China von Anfang an miterlebten und wachsen sahen.
In Jahrzehnten, Jahrhunderten wird in den Geschichtsbüchern (oder mit welchen Medien auch immer Informationen dann weitergetragen werden) von der Pandemie die Rede sein, dessen Eindämmungsversuche die Luft wieder reiner machte und die Natur heilen lies.

Wir alle wurden darauf vorbereitet, dass wir uns weiterentwickelt haben, wenn wir aus unseren Gastländern wiederkehren. Und das haben wir auch alle, ohne jeden Zweifel. Wir alle werden Situationen gehabt haben, an denen wir gezweifelt haben, und späterhin trotzdem gewachsen sind.
Aber auch die Welt hat sich verändert, ganz aprupt aus einer Notsituation heraus. Und wenn diese anhaltende Krise überwunden wurde, dann wird sich auch die Welt verändert haben.

Dass wir als andere Menschen wiederkommen, das war uns also sehr wohl bewusst. Aber wer hätte uns beim besten Willen sagen können, dass die Welt auch eine andere sein wird?

Das Paradox der Heimat

Worten wie Heimat oder Zuhause werden wahnsinnig große Bedeutungen zugeschrieben. Ab wann fühlt man sich nicht mehr fremd an einem Ort, zu dem man frisch zugezogen ist? Ab wann fühlt man sich zuhause? Dieser Übergang zwischen Fremd und Heimisch ist komplett fließend, wie ich festgestellt habe. Manchmal ist etwas sogar Fremd und Heimisch zugleich.

Als wir vor einigen Wochen von einer Reise zum verlängerten Wochenende zurückkamen, da hatte ich dieses bekannte „Endlich Zuhause“-Gefühl. Nach 10 Stunden Zugfahrt (davon 8 Stunden im Nachtzug) und 3 weiteren im Bus in unsere Kleinstadt, waren wir froh, dass wir bald wieder Zuhause in der Schule waren. Auch nach nur wenigen Tagen war es angenehm, wieder in der vertrauten Umgebung zu sein.

Komplett gegensätzlich dazu war dann jedoch die Situation im Stadtbus danach: Eine Gruppe älterer Damen, die ganz aufgeregt waren, dass sie weiße Personen zu Gesicht bekamen.
Das war all fun and games, bis Selfiesticks ausgepackt wurden, und die Damen darauf bestanden, duzende Fotos mit uns zu machen. Wir waren zu dem Zeitpunkt seit 13 Stunden auf Rückreise und wollten eigentlich nur unter die Dusche und dann ins Bett. Stattdessen landeten wir auf verschwommenen Fotos und sogar auf einem TikTok-Video.
Manchmal neige ich dazu, die Größe dieser Kleinstadt zu unterschätzen. 100.000 sind nicht viel in China, aber ganz objektiv betrachtet dann doch zu viele Menschen, um ernsthaft zu denken, dass es nicht noch eine ganze Weile Leute geben wird, die uns noch nicht gesehen haben.
In diesem Moment was das aber gar nicht so lustig für uns, weil wir doch ziemlich geschafft waren von der Reise und eigentlich nur etwas Essen und dann ins Bett wollten.
Obwohl wir also unseres Ermessen nachs Zuhause waren, waren wir für diese Frauen eine fremdländische Attraktion.

Als wir dann endlich an der Schule ankamen und unser Gepäck in unseren Wohnungen stehen lassen konnten, wollten wir noch schnell auf den Markt gehen, um Gemüse für unser Abendessen zu kaufen.
Natürlich wurden wir auch da gefragt, woher wir kämen („Wir sind Deutsche!“) und was wir hier denn machen würden („Wir sind Lehrkräfte an der Number 4 Middle School.“).
Und als wir immer wieder betonten, dass wir keine Tüte für ein einziges Bündel Koreander brauchten, sondern diesen einfach in unseren Beutel reinpacken könnten, da wurde das auch eher verwirrt als verständnisvoll aufgenommen.

Als wir danach im Teeladen unseres Vertrauens vorbeischauten, wurden wir von den Verkaufenden fast schon wie alte Freund*innen begrüßt.
(Hierbei subtil anzufügen ist, dass wir beide hier viel zu viel Milchtee konsumieren.)
Komplett ohne Probleme konnten wir bestellen und diesmal bekamen wir schon automatisch keine Tüte, nachdem wir bei unseren Besuchen vorher mehrmals darum gebeten hatten, keine extra Tüte für den Becher, der eh aus Plastik ist, zu bekommen.

Herzlich begrüßt werden wir auch immer von der Alten Dame, die am Square die Billiard-Tische unterhält, bei denen man für wenig Geld eine halbe Stunde lang spielen kann. Dazu gibt’s dann immer Spieltipps von ihr, was bei uns meistens irgendwann dazu führt, dass sie das Spiel praktisch leitet und wir einfach nur versuchen, mit der weißen Kugel richtig zu treffen.

Ein weiteres Stück Zuhause ist eine unserer Kolleginnen, die uns mittlerweile fast schon adoptiert hat. Sie fragt jedes Wochenende, ob wir am Sonntag zu ihr kommen wollen, um bei ihr Dumplings zu essen.
Letzens sind wir danach mit ihr zum KTV, weil sie am Tag vorher ein wichtiges Examen hinter sich gebracht hatte, und einfach mal einen entspannten Abend mit uns haben wollte.
Vor einigen Tagen brachte sie uns ein Glas Birnentee in die Schule, welches sie von Zuhause mitgebracht hatte, weil ihre Tochter krank war und sie zu viel gekocht hatte. Und sie hatte ja am Vortag gehört, dass wir beide ein wenig gehüstelt hatten und wollte uns einfach etwas gutes tun.

Huixian ist mittlerweile also auf jeden Fall nicht mehr die fremde Stadt, in der uns niemand kennt. Aber es ist eben auch nicht die weltberühmte Westentasche. Oft hören wir noch, wie Leute „Ausländische“ tuscheln, wenn wir an ihnen vorbei gehen. Dann wissen wir, dass diese Leute uns vermutlich einfach noch nicht gesehen haben.

Aber es gibt eben auch die Läden, die uns keine Tüten mehr geben.

Made in China (22.11.2019)

Ob Schuh, T-Shirt oder Jacke, ein jeder hat wohl im Kleiderschrank mindestens ein Produkt, welches im fernen Osten produziert wurde und dessen Label „Made in China“ von einer ewigen Reise von Produktion bis zum Verbraucher zeugt.

Was aber bedeutet „Made in China“ eigentlich für die Chinesen selbst und was für eine Zukunft hat es als Herkunftsland von Billigprodukten?

„Made in China“ ist wohl eines der am weitesten verbreiteten Label, nicht zuletzt auch deshalb, weil China an der Spitze der weltweiten Exporteure steht. „Made in China“ – das bedeutet, dass das Produkt zumindest im letzten Schritt der Fertigstellung auf dem chinesischen Festland gefertigt wurde. Auch deshalb hat Taiwan, trotz Beanspruchung durch China eine eigene Kennzeichnung.

Denke ich an „Made in China“, so kommen mir Bilder von dunklen Fabrikhallen in den Kopf, in denen minderbezahlte Arbeiter eng an eng unter menschenunwürdigen Bedingungen an Nähmaschinen sitzen und T-Shirts westlicher Marken zusammennähen, oder andere, die Smartphones zusammenschrauben. So geht es, glaube ich, nicht nur mir. Traurig genug, dass das an vielen Orten der Realität entspricht. Dokumentationen der Öffentlich-Rechtlichen, wie „Der Preis der Blue-Jeans“ führen es uns das eine ums andere Mal vor Augen, was unser Konsum in Europa für direkte Einflüsse auf die Menschen in China und Südostasien hat. Anders als in Deutschland setzt man hier nach wie vor primär auf Handarbeit, da jene oftmals günstiger ist als vollautomatisierte Maschinen – auch Sicherheitsvorkehrungen sind nur sehr begrenzt gegeben. Zusammenfassend spart man also beim Kauf oft nicht an der Qualität, sondern vor allem – und das ist bitter – auf Kosten der Gesundheit vieler Menschen. Auch deshalb denke ich, sollte ein jeder zweimal nachdenken, bevor er ein T-Shirt kauft, um es dann wohlmöglich nur wenige Male zu tragen. So, das reicht mit „Moralaposteln“.

Seit einigen Jahren verlegen immer mehr Firmen ihre Produktionsstandorte in andere asiatische Staaten wie Vietnam oder Thailand. Aber warum? Grund dafür ist unter anderem der immer weiter ansteigende chinesische Mindestlohn und immer strengere Kontrollen gegen Schwarzarbeit von Seiten des Staates. China möchte sich weiterentwickeln, raus aus der Rolle des Schwellenlandes.

Einen ersten großen Schritt dahin leitet Peking bereits im Mai 2015 ein. Mit „Made in China 2025“ erstellt man einen 10-Jahres-Plan. Zu den kurzfristigen Zielen gehören dabei umfassende Verbesserungen der Produkt- und Arbeitsqualität. In einem zweiten Schritt bis 2035 möchte man sich mit Durchbrüchen in der Wissenschaft im Mittelfeld der Industriemächte positionieren, um dann schließlich 2049, zum 100-jährigen Jubiläum der Volksrepublik an der Weltspitze der Industrienationen zu stehen. Das CSIS („Center for Strategic and International Studies”) leitet diesen Plan von der deutschen „Industrie 4.0“ ab, einer um 2011 gestarteten Initiative für eine allgemeine Verbesserung und Modernisierung der Deutschen Industrie. Diese Pläne wirken beim Lesen zunächst wie populistische Propaganda, aber tatsächlich startet Peking damit, riesige Investitionen in zukünftige Technik zu stecken, wie z.B. in den Bereich der Künstlichen Intelligenz. Während sich Deutschland in diesem Feld mit Investitionen von drei Milliarden Euro bis 2025 rühmt, kündigt China Investitionen in Höhe von insgesamt 150 Milliarden Dollar bis 2030 an. So viel investiert sonst kein anderer Staat. Schon jetzt ist China auf bestem Wege, den Wettbewerb auf diesem Feld zu gewinnen. Außerdem möchte man in die Schlüsselindustrien investieren. Hierzu zählen neben Schiffbau und Raumfahrttechnik auch Bereiche wie Biomedizin sowie große Investitionen in die Pharmaindustrie.

Basis für all diese Pläne sind neun strategische Aufgaben, denen sich der Staat stellt: Unter anderem möchte man weg von Massenproduktion, mehr eigene Innovationen und ein Qualitätsbewusstsein für „Made in China“ schaffen, oder auch die umweltfreundliche Produktion fördern. Kurzgesagt, man will die gesamt chinesische Industrie neu aufrollen!

Was lässt sich also festhalten? China möchte weg aus der Rolle der Billigproduktion, hin zu einer zukunftsträchtigen und innovativen Weltmacht. Aber nicht zu irgendeiner Weltmacht. Man möchte „überlegen“ sein, wenn möglich in jedem Bereich. Deutschland dient China dabei gerne – speziell im innovativen Bereich – als Vorbild. Ich kann nur jedem empfehlen, sich einmal mit diesem kontroversen Thema auseinanderzusetzen.

In WenXian kommt von solchen Investitionen in die Zukunft nur ein sehr begrenzter Teil an. Ein Großteil der chinesischen Industriezonen liegt an der fortschrittlichen und reicheren Ostküste des Landes. Die Gründe dafür sind zahlreich: Nicht nur bietet die Nähe zur Küste durch ihre weit entwickelte Infrastruktur für den Transport große Vorteile, sondern auch der hiesige Fachkräftemangel und das natürliche Umfeld von Wüste und Gebirge im Nordwesten des Landes lässt hier kaum Raum für große Industrie. Aber zumindest an der Infrastruktur arbeitet man auch hier schon: Neben großen Schnellstraßen, die durch das riesige Gebirge und endlos erscheinende Tunnel gebaut werden, versucht man durch immense Investitionen – wie ich meine – eine gute Basis für zukünftige Fachkräfte zu schaffen.

Natürlich kann ich nur begrenzt über das Thema berichten. Auch deshalb habe ich mir die Meinung einer jungen Kollegin hinzugezogen und sie mit einigen Fragen und Aussagen konfrontiert (frei übersetzt):

Auf die Frage, was sie mit „Made in China“ verbinde, meint sie knapp, dass sie zunächst einen gewissen Stolz empfinde, da es ein eigenes Produkt sei, und aus dem eigenen Land stamme. Allerdings verbände sie mit China auch eher eine schlechte Produktqualität. Zudem könne man Ihrer Meinung nach „Made in China“ im Ausland nicht mit dem gleichen Label in China selbst vergleichen. So bekäme ein chinesischer Kunde nicht die gleiche Qualität, wie ein „Westler“, da die beste Ware nicht im Land bliebe, sondern exportiert werde.

Mit „Made in Germany“ verbinde sie hingegen hohe Qualität. Allgemein seien importierte Produkte hoch angesehen, da sie mehr Qualität versprächen als die chinesischen. Speziell deutsche Autos und das Deutsche Bier werden als Beispiele genannt. Zwar ist ihr bewusst, dass die deutschen Automarken in China produzieren lassen, allerdings versprächen ausländische Marken, die mit dem chinesischen Markt kooperieren für sie grundsätzlich höhere Qualitätsstandards. Dafür bezahle man dann auch gerne mehr, nicht zuletzt um nach außen hin zu zeigen, dass man sich importierte Güter leisten kann.

Wohl auch deswegen sei in China gefälschte Ware so weit verbreitet: Von Klamotten bis hin zu Autos versuche man zu zeigen, was man hat, was mit ausländischen Marken nun mal am besten ginge.

Zuletzt frage ich sie dann, ob sie schon von „Made in China 2025“ gehört habe. Dies ist nicht der Fall, wohl aber auch weil sie laut eigener Aussage nicht wirklich an Politik interessiert sei – womit sie hier leider bei weitem nicht die Einzige ist. Nach kurzer Recherche im Internet, scheint sie dann aber doch eine Meinung zu dem Thema zu haben. Das gesamte Projekt sei gut für Regierung und Bevölkerung, da es Chinas Wachstum symbolisiere. China würde von den Chinesen selbst abwertend als „Fabrik der Welt“ bezeichnet. Durch bessere Bezahlung und Qualität könne man diese Bezeichnung endlich loswerden und „Made in China“ zu einer Marke machen, auf die man im Inland, sowie auch im Ausland stolz sein kann. Damit beenden wir unserer Unterhaltung.

Was lässt sich also zur Zukunft Chinas sagen? Speziell der „Stolz“ spielt meiner Ansicht nach – wie in allen Situationen des chinesischen Lebens – auch hier eine unwahrscheinlich große Rolle. Man möchte nach außen hin stark und auf keinen Fall unterlegen wirken. Das gilt für die Familie, das gilt für den Staat, das gilt für eine Klasse, das gilt eigentlich überall. Aber warum auch nicht?

Ich denke mir, Deutschland könnte sich speziell von den chinesischen Investitionen im Bereich der Bildung oder allgemein Investitionen in die Zukunft noch so einiges abschauen. Und mal sehen: Vielleicht kaufen wir dann bald schon chinesische Autos und schauen uns etwas bei der chinesischen Technologie ab. Die Zukunft wird zeigen, ob „Made in China 2025“ wie so häufig doch nur heiße Luft ist oder China wirklich den Schritt an die Weltspitze schafft!

Ein Moment, der hängen bleibt (08.11.2019)

Ich sitze wie angewurzelt, schaue rüber zu meiner Kollegin neben mir. Passiert das hier gerade wirklich? Ich will ja etwas tun, aber was soll ich tun, was kann ich tun? Am Ende bin ich ja dann doch nur ein gerade einmal 18-jähriger, der kaum die Landessprache spricht.

Aber fangen wir von vorne an! Mitte Oktober werden alle deutschen Freiwilligen in die Hauptstadt der Region, nach Lanzhou, eingeladen. Hier soll ein erster Austausch der bisherigen Erfahrungen mit Schülern und Umfeld erfolgen. In der Tat ist die Freude beim Wiedersehen groß. Wir reden über unsere Erfahrungen und Erlebnisse in Einsatzstelle und Urlaub. Abends besuchen wir dann die lokalen Bars und lassen bei chinesischem Bier und Sonnenblumenkernen den Abend ausklingen. Aber nicht nur der Austausch ist Anlass für das Treffen in Lanzhou. Am zweiten Tag des Seminars treffen wir den Vorsitzenden des Bildungsministerium der Region Gansu, die – nur zur Einordnung – größer als Deutschland ist. Von ihm und seinen Mitarbeitern werden wir in ein teures Restaurant eingeladen und bekommen feinste Fleischspezialitäten serviert. Blöd nur, dass von uns zwölf Freiwilligen neun vegetarisch leben. Nach dem gemeinsamen Essen und der traditionellen gegenseitigen Ehrerweisung begleitet uns eine Mitarbeiterin des Ministeriums in ein brandneues Museum. In diesem werden mit allerlei zukunftsorientierter Technik viele Höhlen, sowie Gemälde und ganze Tempelanlagen der weit im Norden der Provinz liegenden Wüstenstadt Dunchuan nachgestellt und mit 3D Druckern und „Augumented Reality“(Die Möglichkeit durch eine spezielle Brille Hologramme im Raum erscheinen zu lassen) zum Leben erweckt. Erneut zeigt man uns stolz, wie viel Geld China in die Zukunft steckt. Natürlich lassen wir den Führern im Museum durch gelegentliches staunen und „Ah“s und „Oh“s zu verstehen geben, wie fasziniert wir sind. Denn wenn wir in den letzten Monaten etwas gelernt haben, dann das, dass Chinesen es lieben, wenn man sie und das, was sie tun bewundert! Bevor wir dann schließlich die Heimfahrt antreten, bekommen wir noch einen „Touristen-Pass“, eine Art VIP-Pass geschenkt, mit dem wir in die meisten Sehenswürdigkeiten der Provinz gratis oder zumindest vergünstigt hineinkommen, gültig bis zu unserem Heimflug. Natürlich beginnen dann schon im Bus – auf dem Weg zurück nach WenXian – die nächsten Planungen für zukünftige Wochenendtrips.

In WenXian angekommen, ist es dann so weit: Der dauerhaft kühle Wind in den Bergen, der schon eine Erkältung verursacht hatte, haut mich schließlich völlig um. Hustend sitze ich also für eine Woche in meinem Zimmer herum und verlasse dieses nur zum Unterrichten und zum Essen. Nachdem ich mich zunächst noch gegen einen Arztbesuch sträube, überzeugt mich dann schließlich eine befreundete Englischlehrerin, nachdem auch stetiges Teetrinken keine Wirkung zu zeigen scheint. Sie bringt mich zum Arzt ihrer 10-jährigen Tochter (Ich glaube, es war ein Kinderarzt…). Gemeinsam warten wir im Flur des Krankenhauses darauf, dass meine Nummer aufgerufen wird. Dabei beobachten wir direkt gegenüber die Tür des Arztes zur Blutabnahme für Kinder. Eine Krankenschwester nimmt den kleinen Kindern Blut an ihren Händen ab, um es dann testen zu lassen. Schließlich ist ein 10-jähriger Junge an der Reihe und scheint nicht allzu begeistert davon zu sein. Nachdem sein Vater ihn harsch am Arm packt, sage ich schon scherzhaft zu meiner Kollegin, dass sowas in Deutschland wahrscheinlich schon ein Problem darstellen könnte. Als der Junge dann aber partout nicht einlenken will, fängt der Vater plötzlich an, ihn aufs Wildeste in die Kniekehlen zu treten, Backpfeifen zu verteilen und ihm Schläge in den Bauch zu verpassen. Als auch das nicht zu helfen scheint, setzt er sich schließlich auf seinen Sohn und fixiert ihn auf dem Flurboden, sodass die Krankenschwester hinter der Theke „endlich“ vorkommen kann, um dem kreischenden und heulenden Jungen das Blut abzunehmen.

Ich beobachte das ganze Geschehen, was direkt zu meinen Füßen geschieht. In meinem Kopf kreisen in diesem Moment so viele Gedanken. Soll ich eingreifen? Aber was soll ich denn sagen? Der Mann versteht höchstwahrscheinlich auch kein Englisch. Ich schaue zu meiner Kollegin, aber sie scheint überfordert zu sein und schaut einfach zu, ebenso wie die vielen anderen Eltern, die mit ihren Kleinkindern den Vorfall beobachten. Da stehen Familienväter, die eingreifen könnten, aber nichts geschieht. Niemand sagt auch nur ein Wort. Nein, die Krankenschwester, eine Frau, die den ganzen Tag mit Kindern arbeitet, macht sogar mit und duldet die Tatsache, dass der Vater seinen Sohn eindeutig körperlich einschüchtert. Schließlich ist der Spuk vorbei, nachdem der Vater, der sich offenbar in seiner Ehre gekränkt fühlt, seinen Sohn einfach auf dem Boden zurücklässt. Wir helfen dem Jungen auf und geben ihm ein Taschentuch, damit er sein Nasenbluten stoppen kann.

Dass in meiner Schule der ein oder andere Lehrer das Lineal nicht nur zum Ausmessen an der Tafel nutzt, habe ich inzwischen mitbekommen, aber das ist ein anderes Ausmaß. Ich möchte mir in diesem Moment gar nicht ausmalen, was der Junge Zuhause ertragen muss. Aber das Schlagen als Erziehungsmethode ist in China nicht verboten. So ist es kein Wunder, dass viele meiner männlichen Schüler in einer „Halloween“-Stunde auf die Frage, wovor sie Angst haben, ihren Vater angeben. Ich habe in meinem engstirnigen Denken eigentlich Antworten wie „Spinne“ oder „Schlange“ erwartet. Eins weiß ich aber auf jeden Fall: So schnell bekomme ich dieses Bild nicht aus dem Kopf.

Dann ist meine Nummer dran und ich gehe ins Arztzimmer. Der Arzt verschreibt mir schließlich zwei verschiedene Pillen und zwei spezielle Tees, die ich dreimal am Tag einnehme. Und tatsächlich zeigt sich eine schnelle Wirkung. So kann ich letzte Woche auch das erste Mal wieder mit meinem Mitfreiwilligen Jona Wandern gehen. Gemeinsam besteigen wir einen naheliegenden Berg und besuchen auf dessen Spitze einen kleinen Tempel. Die Aussicht auf Berglandschaft und Stadt sind dabei atemberaubend. Wie gerne würde ich doch mal Rotenburg so von oben sehen und das bunte Treiben in den Straßen beobachten wie ich es hier kann.

Eben in solchen Momenten des Innehaltens fällt mir ein um das andere Mal auf, wie schnell doch die Zeit an mir vorbeifliegt.

Nachdem nun auch Halloween hinter uns liegt, dachte ich, dass bis Weihnachten nur noch regulärer Unterricht für mich ansteht. Aber nein, nachdem mir ein Schüler am Freitag erzählt, dass er die nächste Woche Tests schreibt und ich nachfrage, wird auch mir dann mal mitgeteilt, dass ich von Mittwoch bis Sonntag nicht zu unterrichten habe, da eine Woche lang Tests geschrieben würden.

Nun habe ich auf die Schnelle noch einen kleinen Urlaub mit Jona geplant, sodass wir doch noch ein kleines Abenteuer erleben können. Dabei benutze ich das erste Mal Couchsurfing, eine App für das eigene Handy über die Nutzer kostenlos ihr Sofa oder auch ein Zimmer für Fremde anbieten. Somit verbringen wir drei Nächte bei einer jungen Chinesin und verbringen mit ihr hoffentlich ein paar schöne Tage in der fünf Stunden entfernten Stadt Guangyuan. Aber dazu dann ein anderes Mal mehr!

Neujahr im Februar? (25.10.2019)

Gemeinsam mit der Familie auf einen Berg steigen, langen schön geschmückten Schiffen beim Fahren zuschauen oder den Vollmond bestaunen? All das hört sich beim ersten Lesen wie ein netter Trip für ein Wochenende an. Aber nein. Es handelt sich um alte chinesische Bräuche anlässlich verschiedener Feiertage.

China scheint eine gar unendliche Anzahl davon zu haben. Viele von ihnen sind einzigartig und es lässt sich – anders als bei uns – oft kein Leitfaden erkennen, wie eine religiös-christliche Herkunft. „Kein Weihnachten“ – das wirkt für mich beim ersten Denken unmöglich. Weihnachten ist schließlich heute so viel mehr als nur ein Feiertag für religiöse Christen. Neben Kirchgang und Krippe erinnert doch oftmals nicht mehr wirklich viel an die Herkunft dieses Feiertages. Vielen geht es inzwischen mehr um ein schönes Zusammenkommen mit der Familie und Geschenke für die Kinder. Wohl auch wegen dieser Entfremdung wird in den Großstädten Chinas auch der alte Mann in rotem Mantel immer weiter salonfähig, auch wenn der Staat durch Verbote diese Entwicklung zu unterbinden versucht.

In WenXian ist diese Entwicklung allerdings noch nicht angekommen. Nicht verwunderlich, dass meine Schüler fasziniert sind vom Weihnachtsmann und Osterhasen, als ich nun anlässlich von Halloween und Reformationstag eine Stunde über deutsche und chinesische Feiertage halte. Heute möchte ich über chinesische Feiertage reden und meine ersten Erfahrungen mit diesen Feiertagen beschreiben.

Das chinesische Jahr beginnt mit dem gleichzeitig wichtigsten chinesischen Fest, dem „Chinese New Year“. Traditionell liegt dieses im Januar oder Februar und liegt in den längsten chinesischen Schulferien, welche ca. 1,5 Monate lang sind. Gefeiert wird das Neujahr mit viel Feuerwerk und einem großen Festessen, bei welchem „Dumplings“, eine Art Nudeln mit verschiedenen Füllungen gegessen werden. Ähnlich wie bei uns an Weihnachten kommt dabei die gesamte Familie zusammen und verbringt gemeinsam die Feiertage. Allerdings bekommen die Kinder anders als in Deutschland keine Geschenke, sondern nur sogenanntes „Lucky Money“ von Eltern und Großeltern, in rote Umschläge verpacktes Bargeld. Mitte Februar – also meist auch noch in den Schulferien – findet dann das Laternen-Festival statt. Während dieses Feiertages sind die Straßen und Häuser mit roten Laternen geschmückt. Die Familien treffen sich, um gemeinsam zu essen und dabei zuvor ausgedachte Rätsel zu lösen. Traditionell werden dabei spezielle „Reis-Dumplings“ gegessen, deren Form an den Vollmond erinnern sollen.

Anfang April folgt dann das „Quingmin-Festival“. Dieses Fest ist Anlass für Familien, die Gräber ihrer Ahnen zu besuchen, um diese zu ehren. Oftmals picknicken die Familien daraufhin gemeinsam, um die Szenerie des Frühlings zu genießen.

Das nächste große Fest ist dann das „Drachenboot-Festival“. Das Fest hat eine Geschichte von über 2000 Jahren und ist bekannt für seine Drachenbootrennen. Dabei treten Mannschaften mit jeweils 30 bis 60 Ruderern in 20-35m langen, mit Drachen verzierten Booten an. Über China verteilt gibt es dutzende Austragungsorte, wie z.B. auch in der Millionenstadt Hongkong. Gemeinsam betrachten dann die Familien das Spektakel. Oftmals reisen sie hunderte von Kilometern an, um ein solches Ereignis bestaunen zu können.

Mitte August folgt dann der „Double Seventh Day“. Der Name stammt vom speziellen Datum des Feiertages. So liegt dieser jährlich auf dem siebten Tag des siebten Monats nach dem chinesischen Mondkalender, nach welchem sich überhaupt die meisten chinesischen Feiertage richten. Das Fest wird auch als chinesischer Valentinstag bezeichnet. Ähnlich wie bei unserem werden dabei kleine Präsente wie Rosen oder Süßigkeiten an die Geliebte verschenkt. Zudem wird stets die Legende von „Niulang und Zhinü“ erzählt, einem verzweifelten Liebespaar, welches durch einen großen Fluss aus Sternen (Milchstraße) getrennt ist. Nur einmal im Jahr können sich die geliebten stets am Siebten des siebten Monats für einen Tag sehen. Eben jene Legende durfte ich am dritten Tag nach meiner Ankunft in China live erleben. So besuchte ich mit anderen Freiwilligen die Altstadt der Millionenstadt Nanjing und wurde unerwartet zum Zeugen von allerlei Theateraufführungen. In wunderschönen, chinesischen Gewändern begeistern Schauspieler die Massen mit ihrem Gesang – meiner Meinung nach: etwas gewöhnungsbedürftig

Im darauffolgenden Monat September steht dann das Chinesische „Mid Autum Festival“ an, welches auch als „Moon Festival“ bezeichnet wird. Auch bei diesem Fest trifft sich die Familie zum gemeinsamen Abendessen. Dabei wird der Mond betrachtet und durch verschiedene Geschenke, wie z.B. Laternen gepriesen. Traditionell isst man anlässlich des Festes „Moon Cakes“, eine Art Keks mit verschiedenen Füllungen und meist hübschen Mustern auf der Oberseite. Anlässlich des Feiertages wurde ich gemeinsam mit dem zweiten Freiwilligen Jona von der Schuldirektion in ein Restaurant zu allerlei chinesischen Spezialitäten, wie Hühnerfuß und Kuhmagen eingeladen. Sagen wir es so: Der Reis hat mir an diesem Abend sehr gut geschmeckt. Den Vollmond konnten wir aber leider nicht bestaunen, da der Tag in WenXian wortwörtlich „ins Wasser“ fiel.

Das letzte große nationale Fest ist dann das „Double Ninth-Fest“. Dieses hat ebenso wie der „Double Seventh Day“ seinen Namen aufgrund seines Datums im chinesischen Mondkalender, in diesem Fall den Neunten des neunten Monats. Das Fest soll speziell die älteren Mitbürger ehren. Viele Familien besteigen anlässlich des Festes einen hohen Berg, um dann – oben angekommen – gemeinsam zu essen. Typischerweise werden dabei „Chongyan Cakes“ gegessen, spezielle aus neun Schichten bestehende Kuchen. Zudem trinkt man Chrysanthemen-Wein. Leider bin ich während des Feiertages auf einem Seminar und kann nicht an den Feierlichkeiten in meiner Heimatstadt teilnehmen, allerdings bekomme ich sicher viele Bilder von meinen Schülern und kann so zumindest einen kleinen Eindruck erhalten.

Insgesamt lässt sich über die chinesischen Feiertage sagen, dass sie alle auf Mythen und Legenden beruhen, die oftmals weit über tausend Jahre alt sind und somit eine sehr lange Tradition haben. Viele Feste finden allerdings – untypisch für Chinesen – im privaten Kreis der Familie statt und nicht in der Öffentlichkeit – so zumindest mein Eindruck. Ich bin gespannt, was für lokale Feste und Bräuche ich in nächster Zeit noch kennenlernen darf. Meiner Meinung mal eine nette Abwechslung zu Weihnachtsbaum, Plätzchen und Adventskranz – auch wenn mir natürlich gerade an Weihnachten der Bezug zu meiner Familie und meinen Freunden fehlen wird.

Alte Tempel, neue Türme (11.10.2019)

Alle Züge sind überbucht, die Straßen verstopft und auf jedem verfügbaren Monitor und Handy marschieren Soldaten entlang wunderschöner Prachtstraßen. So kann man China während des Nationalfeiertags beschreiben. Mein Handy stoppt gar nicht zu vibrieren, weil jeder meiner 600 Schüler mir Bilder von der großen Parade auf dem heimischen Fernseher schickt. Jeder scheinbar so glücklich, als habe er in der Lotterie gewonnen.

Aufgrund des Nationalfeiertags haben sowohl Schüler als auch ich letzte Woche frei und ich nutze die Zeit, um in die 400 Kilometer entfernte Großstadt TianShui zu reisen. Gemeinsam mit drei weiteren Freiwilligen aus Deutschland verbringen ich knapp 5 Tage hier und erkunde in der Zeit die Altstadt sowie das nähere Umland. Ein kleines Abenteuer! Aber das startet bereits mit der Anreise. Nach vier stündiger, turbulenter Autofahrt durch das Gebirge gelangen ich zum nächstliegenden Bahnhof, von welchem ich dann über die Provinzhauptstadt Lanzhou in die Kulturhochburg TianShui gelange. Reisen mit dem Zug in China ist dabei nicht mit deutschen Verhältnissen vergleichbar. Nicht nur, dass man vor Reiseantritt durch mehrere Sicherheitschecks muss, nein auch das Einsteigen wird über Check-In Schalter abgewickelt. Und der größte Unterschied: Der Zug ist auf die Minute pünktlich und besitzt funktionierende Klimaanlagen. Trotz schneller Züge summiert sich die Zeit meiner Anreise aufgrund umständlicher Routen dennoch auf 8 Stunden für 350 Kilometer Luftlinie. Zwar ist der Zugbetrieb sehr gut, allerdings ist das Bahnnetz bei weitem nicht so ausgeprägt, wie bei uns.

In TianShui angekommen, erwarten mich bewölkter Himmel und Regen: Ein motivierender Auftakt für meinen ersten richtigen Urlaub! Nach aufwendigem Einchecken im Hotel kann es dann aber los gehen. Wir besichtigen wunderschöne Tempelanlagen, die über die Stadt verteilt sind. Zwischen Mönchen und chinesischen Touristen sehen wir bezaubernde Parkanlagen und allerlei Buddha Statuen. Während ich dabei eifrig am Fotos machen bin, kommt dann aber doch irgendwann eine gewisse Zwigespaltenheit hoch. In Deutschland rege ich mich stets über jene asiatischen Touristen auf, welche durch Kirchen laufen und laut am „knipsen“ und reden sind, einem Ort, dem man meiner Meinung nach gewissen Respekt zollen sollte. Nun bin ich der, der in dieser Rolle steckt und sich bei eben dem Verhalten ertappt. Ein komisches Gefühl!

Besonders der auf einem Berg liegende Yuquan Tempel erstaunt mich durch unglaubliche Architektur und uralte Bäume. So steht im Zentrum des Tempels ein über 2500 Jahre alter Baum. Vom Fuß des Berges sehen wir schon bevor wir den Tempel sehen können, einen gewaltigen chinesischen Turm, welcher wunderschön mit roten und blauen Vordächern verziert ist. Umso verwunderter sind wir, als wir keinen Zugang finden können. Als wir uns schließlich über Trampelpfade nähern, sehen wir es schließlich: Der Turm steht auf einem riesigen Betonfundament. Wir betreten das Innere der Konstruktion und sehen, dass das gesamte Innere einer großen Baustelle gleicht, nein eine große Baustelle ist. Die Stadt baut einen alt anmutenden Turm als Erweiterung des uralten Tempels ganz nach dem Motto: Wenn man nicht genügend alte Sehenswürdigkeiten hat, dann baut man halt welche.

Höhepunkt unserer Reise ist der Besuch der überregional bekannten MajiShan Grotten. Als wir früh morgens in einen Bus steigen, der eben jenes Ziel hat, regnet es und wir hoffen schon auf geringere Besucherzahlen. Doch spätestens als wir den Parkplatz erreichen, realisieren wir, dass das wohl nur ein Traum war. Tausende bunt gefärbte Mülltüten strömen zu den Eingängen. Ein jeder chinesische Tourist hat sich ein farbiges Cape mit spitzer Zipfelmütze gekauft und sagt damit dem Regen den Kampf an. Wahrlich ein Bild für die Götter. Stundenlang stehen wir in Schlangen an, um zu den Grotten zu gelangen. Die Majishan Grotten befinden sich in einer steilen Bergwand und beinhalten hunderte Buddha Statuen, manche über 8 Meter groß. Bis heute ist ungeklärt, wie die Erbauer dieses Heiligtum errichtet haben. Heute sind an der Felswand Gänge befestigt, sodass man die Figuren aus nächster Nähe betrachten kann. Entlang des Weges hin zu den Grotten machen hunderte Verkäufer ihre Geschäfte mit Straßenständen, an denen man alles von geschnitzten Figuren über verzierte Walnüsse bis hin zu Plastikgewehren für Kinder alles kaufen kann. Ich bin sehr froh, als ich am Abend in unser Hotel zurückkehre. Insgesamt verbringe ich eine schöne knappe Woche, die schließlich mit einer achtstündigen Busfahrt in meine Heimatstadt endet. Am frühen Morgen fahre ich zur Fernbusstation, um die Reise anzutreten. Während ich, im Bus angekommen, schon fast am einschlafen bin hält der Bus abrupt. Was ist passiert? Ein Mann steht an der Straße und hält seine Hand heraus. Der Fahrer steigt aus, verstaut dessen Gepäck und wir fahren weiter. Das gleiche Spiel erleben wir in der nächsten Stunde noch acht Mal. Als wir schließlich die Autobahn erreichen scheint das Stop-and-Go-Prozedere endlich zu enden – Denke ich, aber nein, zwei Ausfahrten später fahren wir ab. Am Ende der Ausfahrt wartet eine Frau, die den Busfahrer scheinbar zuvor angerufen hat und steigt zu. Aber nicht nur mit extra Passagieren verdient der Fahrer. Zwischendurch halten wir in Dörfern an und der Fahrer steigt aus und übergibt Pakete. Zudem halten wir an einem Kiosk, dessen Besitzer er offenbar kennt, und alle sollen aussteigen, um sich zu stärken. Ehe ich mich versehe, hat er mir Äpfel und Getränke gekauft und möchte mich zum Mittagessen einladen. Solche Busfahrten bin ich aus Deutschland nicht gewohnt, finde es aber irgendwie großartig. Ich scheine aber der einzige im Bus zu sein, dem das komisch vorkommt. Nachdem ich dem Busfahrer erklärt habe, an welcher Schule ich arbeite, lässt er mich direkt davor aussteigen, sodass ich nicht einmal mit in die Stadt fahren muss.

 Nun bin ich seit einigen Tagen wieder Zuhause und habe gestern eine Kontrollstunde gehalten. Wichtige Personen meiner chinesischen Organisation, sowie auch Verantwortliche der Schule haben mir beim Unterrichten zugeschaut. Entgegen meiner Erwartung war ich allerdings nicht nervös und alles lief sehr gut. Scheinbar gewöhne ich mich langsam an das ganze Unterrichtsgeschehen. Ab nächster Woche erhalte ich neben dem Taiji-Training noch KungFu Stunden und Unterricht im traditionell chinesischem Schwertkampf, ich bin schon sehr gespannt!

Verkehrssünder am Pranger (27.09.2019)

Ein Punktesystem in China? In Deutschland kennen wir höchstens die Flensburger Punkte, die uns für Fehlverhalten im Verkehr bestrafen sollen.  Ein jeder hat aber wohl im letzten Jahr aber von den „chinesischen Punkten“ in den Medien gehört, einem neuen Konzept sozialer Ordnung. Ich habe das zumeist belächelt. Natürlich ist so etwas in Großstädten umsetzbar, aber doch nicht auf dem Land, wer will da schließlich Kameras, etc. anbringen?

Eine kurze Einführung in das Thema: Das Punktesystem ist aktuell in noch kleinem Rahmen in einer Testphase. Wird das Projekt umgesetzt, erhält jeder Staatsbürger ein digitales Punktekonto und wird je nach Punktestand als „guter“ oder „schlechter“ Bürger identifiziert und erhält dementsprechende Vorzüge in jeder erdenklichen Lebenslage, oder eben nicht. Das kann von der Beantragung eines Kredits bis hin zu Auslandsreisen führen. Zur Berechnung werden Daten von 50 verschiedenen, chinesischen Behörden hinzugezogen. Kritiker meinen, der Mensch werde dabei entpersonifiziert, zu einem einfachen Datensatz in einer Datenbank. Doch: was sagen eigentlich Chinesen dazu und wie ist so ein Kontroll-Apparat von solch einem Ausmaß überhaupt realisierbar? In der letzten Woche habe ich mich abseits meines eigentlichen Auftrages etwas damit auseinandergesetzt.

Eine der Hauptbedingungen für die Umsetzung des Vorhabens ist eine schier endlose Anzahl von Kameras. Aber wo begegnen einem all diese Kameras? Besonders in den ersten Wochen in China fiel es mir auf, wie oft ich – nur um in Museen oder Sehenswürdigkeiten zu kommen – mein Gesicht in Kameras halten und meinen Reisepass vorzeigen musste. Übertroffen wurde all dies nur noch am chinesischen Flughafen. Nicht nur wurden an jeder Sicherheitskontrolle Bilder von mir gemacht, nein ich musste zudem noch alle meine Fingerabdrücke einspeichern lassen, sowie durch temperaturerkennende Sperren hindurch, bei welchen ich auf grundsätzliche Gesundheit geprüft wurde.

Aber wie sieht das jetzt im Alltag aus? Verlasse ich am Morgen meine Wohnung, begegnet mir schon die erste Kamera im Flur, gefolgt von zwei Kameras im Treppenhaus und einer weiteren am Ausgang des Lehrergebäudes. Gehe ich weiter zum Schulgebäude hinüber, werde ich von weiteren Kameras beobachtet, welche an jeder nur erdenklichen Ecke installiert sind. Ebenso dann im Schulgebäude: Nicht nur im Treppenhaus, sondern auch in den Fluren kann jeder meiner Schritte aufgezeichnet werden, selbst viele der Klassenzimmer sind mit einer Kamera oberhalb der Tafel gespickt. Fahre ich abends mit dem regulären Bus in die Stadt, so beobachten mich darin weitere fünf Kameras, welche jeden nur erdenklichen Punkt im kleinen Bus für die Ewigkeit festhalten. In der Innenstadt angekommen, sind an jeder Ampel obligatorische Kameras installiert, sowie auch in jedem Geschäft mindestens zwei bis drei. In Großstädten ist das Phänomen noch weiter vorangeschritten. Besonders in Mode sind dabei anscheinend aktuell Kameras an Straßenkreuzungen, welche kleinere Verkehrs-Vergehen festhalten. So registriert die Kamera einen Fußgänger, welcher in einer roten Ampelphase die Straße überquert und erstellt mehrere Fotos von ihm oder ihr. An jeder größeren Kreuzung sind große Monitorleinwände installiert, auf welchen dann im 5-Sekunden-Takt diese Fotos von den Verkehrssündern eingespielt werden und das bis zu 24 Stunden nach dem Vergehen. Gleiches auch für Autofahrer, bei denen gleich auch noch das Kennzeichen von der Kamera miterfasst und signifikant am Bildrand eingeblendet wird. Was für uns vielleicht zunächst noch eher witzig und harmlos erscheint, ist hier in einem Land, in dem jedes kleinste Fehlverhalten schon zum Gesichtsverlust führt, sehr unangenehm. Kaum vorstellbar: bald kommt zu dieser gesellschaftlichen Scham dann noch eine Punkteabzug hinzu. Wie man der Beschreibung vielleicht entnehmen kann, ist es schwer, in China unerkannt zu bleiben.

Aber natürlich braucht es mehr als nur Kameras, um die chinesischen Bürger zu durchleuchten. Chinas Regierung hat des Weiteren unbegrenzten Zugriff auf alle, von „WeChat“ gesammelten Daten. „WeChat“ ist das chinesische Pendant zu Online-Messenger-Diensten wie „WhatsApp“, und hat allein in China über 963 Mio. aktive Nutzern (Oktober 2017). China ohne „WeChat“ – das kann ich mir nach nunmehr bald zwei Monaten in China nicht mehr vorstellen. Anders als in Deutschland, läuft in China nicht nur Chatten über einen solchen Social-Media-Dienst, nein auch bezahlen tut man überall damit. Wie das geht? Über „WeChat-Pay“, eine in der App enthaltene Funktion, die einen Zugriff aufs eigene Konto erlaubt. Öffnet man über die App seine Handykamera, so kann man problemlos „QR-Codes“ einlesen und Geld überweisen. Einen eigenen QR-Code hat hier jeder kleinste Straßenverkäufer. In Lanzhou, der Provinzhauptstadt, habe ich sogar einen Bettler gesehen, der ein Schild mit seinem QR-Code vor sich liegen hatte. Aber auch Hotel, Taxi und Restaurant lassen sich damit bezahlen. Kartenlesegeräte hingegen sucht man hier vergebens.

Aber was hat das nun mit dem Punktesystem zu tun? Nicht nur liest die Regierung jede einzelne Nachricht mit, nein, sie hat auch Einblick in einen Großteil aller in China getätigten Geschäfte. Kameras und „WeChat“ an dieser Stelle nur als zwei markante Beispiele, hinzu kommen natürlich noch Datensätze von allerlei Behörden, die schließlich den „gläsernen Menschen“ perfekt machen.

Doch was halten nun eigentlich die Chinesen von dem ganzen System? In der letzten Woche habe ich vier Personen befragt, zwei meiner Schüler, einen Lehrer sowie einen Fahrer, der mich vor einigen Wochen nach WenXian gebracht hat. Wie man eventuell merkt, bin ich dem ganzen System gegenüber relativ kritisch eingestellt. Umso überraschter war ich, als nicht nur Fahrer und Lehrer, sondern auch beide Schüler voll und ganz von dem System überzeugt zu sein schienen und sich kaum darum zu scherten, was mit ihren Daten passiert. Vielmehr empfanden sie es als positiv, dass Personen, die sich nicht an die Rahmenbedingungen hielten, dafür auch bestraft würden. Besonders der Satz von einem meiner Schüler blieb mir dabei im Kopf hängen: „China kontrolliert mich nicht, es schützt mich.“ Diese Einstellung scheinen hier viele zu teilen. Da wundert es mich wenig,, dass anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der chinesischen Volksrepublik, das nächste Woche mit riesigen Paraden zelebriert werden wird, jetzt auch schon im hintersten Gebirge in China, die Straßen mit Plakaten und Nationalflaggen gepflastert sind.

Die Zukunft wird zeigen, wen ein solches System wirklich schützt: Den Bürger vor negativen Einflüssen oder doch die Mächtigen vor frei denkenden Bürgern?